Inhalt
BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen
2-2020: Freie Beiträge
Beiträge
Dennis Möbus: Holleriths Vermächtnis – ein Beitrag zur Geschichte von Frauen in der EDV. Topic Modeling als Methode digitaler Sekundäranalyse lebensgeschichtlicher Interviews
Miriam Mathias: Zur Analyse biographischer Geschlechterkonstruktionen in einem Frauenleben im Übergang zur Moderne. Die Tagebücher der Fürstin Louise von Anhalt-Dessau
Rixta Wundrak: Zum Einbezug des Körperlich-Leiblichen in biographische Fallrekonstruktionen
Michael Galbas: „Jetzt trinken wir erst einmal“. Die Rolle des Alkohols bei Oral History-Interviews
Karsten Lehmann: Individuelle Religiosität in der Zwischenkriegszeit. Zu den Traditionen religiöser Vielfalt in Österreich
Armen Hesse: Selbstbemächtigung und das Sprechen über den Missbrauch. Eine Untersuchung an der Schnittstelle zwischen Literaturwissenschaft, Geschichte und Psychologie
Sammlungen
Linde Apel: Über 30 Jahre Werkstatt der Erinnerung. Oral History in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Stefanie Risse: Il Circolo di scrittura autobiografica a distanza. Autobiographischer Brief-Schreibezirkel von Anghiari (Toskana/Italien)
Literaturbesprechungen
Franziska Heinz: Maria Kontos: Die desintegrativen Folgen des öffentlichen Integrationsdiskurses. Eine biographieanalytische Untersuchung mit Migrantinnen und Migranten
Arthur Schlegelmilch: Li Gerhalter: Tagebücher als Quellen. Forschungsfelder und Sammlungen seit 1800. L’Homme Schriften
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Abstracts
Holleriths Vermächtnis – ein Beitrag zur Geschichte von Frauen in der EDV. Topic Modeling als Methode digitaler Sekundäranalyse lebensgeschichtlicher Interviews (Dennis Möbus)
Dieser Aufsatz dokumentiert die computergestützte Sekundäranalyse des Interviewbestands aus dem Oral History-Projekt Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet. Durch Anwendung des Text Mining-Verfahrens Topic Modeling wurde das Interviewkorpus statistisch vermessen und anschließend entlang inhaltsbeschreibender Keywords explorativ untersucht. Auf diese Weise konnte systematisch vom Allgemeinen – der Erfahrung von Industriearbeit im Ruhrgebiet – zum unter der Oberfläche der Sammlung schlummernden Besonderen vorgedrungen werden: die Rolle von Frauen, die in der Nachkriegszeit zunehmend in die Verwaltungen der Industrieunternehmen des Ruhrgebiets einzogen, bei der Automatisierung und Computerisierung von Verwaltungsvorgängen. In einem anschließenden Close Reading der gefilterten Interviews fielen die nach Geschlecht divergierenden Narrative und Wertungen von Modernisierungsprozessen auf.
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Zur Analyse biographischer Geschlechterkonstruktionen in einem Frauenleben im Übergang zur Moderne. Die Tagebücher der Fürstin Louise von Anhalt-Dessau (Miriam Mathias)
Ausgehend von der Perspektive sozialwissenschaftlicher Biographieforschung, wie sie von Alheit und Dausien vertreten wird, werden in diesem Artikel Ergebnisse einer biographieanalytischen Studie zu den Tagebüchern der Fürstin Louise von Anhalt-Dessau präsentiert. Im Fokus der Interpretation stehen dabei insbesondere die in den Selbstzeugnissen und ausgewählten Korrespondenzen vorzufindenden Konstruktionen von Weiblichkeit. Die Analyse der Selbstzeugnisse im Hinblick auf die subjektiven Sinndeutungen im Kontext der eigenen Geschlechtlichkeit wird gerahmt von einer Betrachtung der im Landsitz der Fürstin dargestellten weiblichen Tugenden als ein beispielhafter Ausdruck der die Handlungsräume der Fürstin bedingenden gesellschaftlichen Struktur. Auch unter Einbeziehung einzelner freundschaftlichen Beziehungen zu weiblichen und männlichen Angehörigen des Bürgertums, die einerseits als Spiegel der gesellschaftlichen Geschlechterstruktur und andererseits als Ort der Reflexion über die zeitgenössische Rolle der Frau anzusehen sind, kann in der Analyse aufgezeigt werden, auf welche Weise das Leben Louises geprägt ist von biographischen Suchbewegungen. Innerhalb dieses Prozesses gelangt sie zu einem Welt- und Selbstverständnis, das nicht mit einer bloßen Anpassung an die Strukturen der ständisch organisierten Gesellschaft, wie sie vormodernen Subjekten oftmals zugeschrieben wird, zu fassen ist.
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Zum Einbezug des Körperlich-Leiblichen in biographische Fallrekonstruktionen (Rixta Wundrak)
Mündliche Stegreiferzählungen von selbsterlebten Erfahrungen sind in mehrerlei Hinsicht leibliche und verkörperte soziale Handlungen. Biographische Erfahrungen werden körperlich gemacht, später erinnernd einverleibt und beim Erzählen performativ kommuniziert. Zu einer mündlich dargebrachten biographischen Erzählung gehören zuhörende Menschen, die während des Erzählhandelns in die erlebte Vergangenheit des/der Erzählenden reisen. Die Verwobenheit des Körperlich-Leiblichen mit dem Gesprochenen in mündlichen autobiographischen Erzählungen führt so zu gemeinschaftlich konstruiertem, biographischem „Gestalten“. Obwohl leiblich-körperliches Erleben, Erinnern und Erzählen in der kommunikativen Konstruktion von Biographie somit höchste Bedeutung haben, wurde dieser Aspekt in der Analyse biographischer Selbstpräsentationen bisher nur wenig beleuchtet. Die methodologischen Überlegungen des Beitrages, veranschaulicht an Datenmaterial aus einem ethnographisch angelegten Interview, das in Tel Aviv-Jaffa, Israel, mit einer an chronischen Schmerzen leidenden Frau geführt wurde, sollen zu einer stärkeren Einbindung körperlich-leiblicher Aspekte in biographischen Fallrekonstruktionen anregen.
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„Jetzt trinken wir erst einmal“. Die Rolle des Alkohols bei Oral History-Interviews (Michael Galbas)
Der Beitrag reflektiert die Rolle des Alkoholkonsums bei der Durchführung von Oral History-Projekten. Den Ausgangspunkt bilden hierfür die während einer geschichtswissenschaftlichen Untersuchung über die Erinnerungen an den sowjetischen Afghanistankrieg gemachten Beobachtungen in Interviewsituationen. Im Rahmen dieser Studie wurden zwischen den Jahren 2011 und 2015 mit über 30 ehemaligen Kriegsteilnehmern an verschiedenen Orten Russlands lebensgeschichtliche Interviews durchgeführt. Dabei fiel auf, dass die Gesprächspartner bei einem Drittel der Treffen gemeinschaftlich Alkohol konsumierten. Davon ausgehend wird aufgezeigt, welche Auswirkung der Alkoholkonsum auf den Erhebungsprozess und die narrative Ausgestaltung der Lebensgeschichte haben kann. Jenseits ethischer und moralischer sowie gesundheitlicher Aspekte ist die dabei Frage von Relevanz, ob Oral History-Interviews vor allem unter methodischen und inhaltlichen Gesichtspunkten scheitern, wenn Alkohol konsumiert wird.
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Individuelle Religiosität in der Zwischenkriegszeit. Zu den Traditionen religiöser Vielfalt in Österreich (Karsten Lehmann)
Religiöse Vielfalt wird in der Forschung immer wieder als ein vergleichsweises rezentes Phänomen der 1960er und 1970er bzw. der 2000er und 2010er Jahre dargestellt. Erst in den vergangenen zwei Dekaden haben sich Studien zunehmend systematisch mit der historischen Genese von religiöser Vielfalt auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich der Beitrag mit individuellen religiösen Selbstbeschreibungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die in der Zwischenkriegszeit (1918-1939) in Wien zur Schule gegangen sind. Im Zentrum stehen zentrale Ergebnisse des Projektes Religiöse Vielfalt an Wiener Schulen der Zwischenkriegszeit (ZwieKrie), das zwischen 2018 und 2021 am Spezialforschungsbereich „Interreligiosität“ (SIR) der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems durchgeführt wurde. Die in diesem Rahmen geführten Interviews dokumentieren die Existenz unterschiedlicher religiös- weltanschaulicher Milieus ebenso wie die Verbindungen zwischen verschiedenen individuellen, religiösen Praktiken sowie vielfältige Bezüge auf religiöse und politische Weltanschauungen. So wird dahingehend argumentiert, dass religiöse Vielfalt auf der Mikro-Ebene nicht erst ein Phänomen der vergangenen Dekaden ist, sondern durchaus auf eine längere Tradition zurückblickt.
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Selbstbemächtigung und das Sprechen über den Missbrauch. Eine Untersuchung an der Schnittstelle zwischen Literaturwissenschaft, Geschichte und Psychologie (Armen Hesse)
Trotz der in den letzten zwei Jahrzehnten breiteren Rezeption von Selbstzeugnissen von Missbrauchsopfern in der Geschichts- und Literaturwissenschaft fehlt nach wie vor eine zufriedenstellende Erklärung zur Funktion sowie eine Methodik zur Untersuchung solcher. Seit den 1990er Jahren verfolgt die Psychologie den Ansatz, traumatischen Erfahrungen im Sinne einer Rekonstruktion des Selbst schreibend zu begegnen. In diesem Sinne wird der folgende Beitrag den Aspekt der Selbstbemächtigung als narrative Strategie gegenüber identitätszersetzenden Missbrauchserfahrungen in Selbstzeugnissen der 2010er Jahre untersuchen. Dabei nimmt der Verfasser zunächst die Entwicklung des Opferstatus in Gesellschaft und Geschichtswissenschaft in den Blick. Erst die gesellschaftliche Anerkennung von Holocaustopfern und der Opferperspektive in den 1990er Jahren ermöglicht das Sprechen und Schreiben über den Missbrauch. Der kontextübergreifende und diachrone Aspekt der Selbstbemächtigung wird im Anschluss daran an der palimpsestierenden Lektüre von bereits untersuchten Interviews und Memoiren von Holocaustüberlebenden sowie der eingehenden Lektüre drei seit 2010 veröffentlichter Selbstzeugnisse versuchsweise untersucht. Der Akt der Veröffentlichung nötigt dabei die Untersuchung der narrativen Selbstbemächtigung im Primärtext gegenüber dem umgebenden Paratext, also der verlegerischen Gestaltung des Buches und medialer Begleittexte. Die Untersuchung zeigt dabei nicht nur, dass der Selbstbemächtigung vor allem in Selbstzeugnissen des ausgehenden 20. sowie 21. Jahrhunderts eine entscheidende kontextunabhängige Funktion zukommt, sondern schlägt auch eine methodische Vorgehensweise zur Untersuchung veröffentlichter, retrospektiver Selbstzeugnisse durch Geschichts- und Literaturwissenschaft vor.
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