Inhalt
PERIPHERIE – Politik • Ökonomie • Kultur
2-2022 (Heft 167-168): Weltsystemanalyse – Ungleichheit verstehen
Editorial
Schwerpunkt
Manuela Boatcă: Globale Ungleichheiten avant la lettre: Theoretische Genealogien und radikale Kritik (im Open Access verfügbar)
Robert Heinze: Eine „Neue Amin-Lektüre“? Der ungleiche Tausch auf dem Weltmarkt und die Rolle des Nationalstaats im Werk von Samir Amin
Jakob Graf: Kapitalismus dezentrieren! Strukturelle Heterogenität und bedarfsökonomischer Sektor als Schlüsselkategorien einer politischen Ökonomie des Südens
Axel Anlauf: Alles nur Zusammenbruch? Ein Vorschlag zur Anwendung des Weltökologie-Ansatzes für empirische Gegenwartsforschung
Maria Backhouse: Die Aktualität der Frontier als Analysekonzept Eine Einordnung der aktuellen Landkonflikte in Amazonien (im Open Access verfügbar)
Stefanie Hürtgen / Maximilian Hofmann: Glokal ungleiche Entwicklung. Jordanische Sonderwirtschaftszonen der globalen Bekleidungsindustrie im Lichte des Jordan Compact
PERIPHERIE-Stichwort
Reinhart Kößler: Weltsystem, Weltsystemtheorie
Maria Backhouse / Axel Anlauf: Weltökologie bei Jason Moore
Artikel
Shelby E. Ward / Ranitri Weerasuriya: Die Rückgewinnung Colombos. Die postkoloniale Geopolitik der sri-lankischen Urbanisierung
Rezensionen
Axel Anlauf: Karin Fischer, Christian Reiner & Cornelia Staritz (Hg.): Globale Warenketten und ungleiche Entwicklung. Arbeit, Kapital, Konsum, Natur
Theo Mutter: Andreas Nöthen: Luiz Inácio Lula da Silva. Eine politische Biografie
Rita Schäfer: Chris Alden & YuShan Wu (Hg.): South Africa-China Relations. A Partnership of Paradoxes
Rita Schäfer: Miles Tendi; JoAnn McGregor & Jocelyn Alexander (Hg.): The Oxford Handbook of Zimbabwean Politics
Reinhart Kößler: Robert J. Gordon: South Africa‘s Dreams. Ethnologists and Apartheid in Namibia
Reinhart Kößler: Manuel Castells & Bernard Lategan (Hg.): National Identity and State Formation in Africa
Reinhart Kößler: Bernd Heyl: Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte. Postkolonialer Reisebegleiter in die deutsche Kolonialgeschichte
Ellen Skuza: Doris Kleff ner: Liberia – Paradies auf Abwegen. Kritische Einblicke in die internationale Entwicklungspolitik
Aram Ziai: Dietmar Friedhoff : Denken wir Afrika. Eine konservative Grundsatz-Strategie zur Selbstentwicklung unseres Nachbarkontintents
Zelda Wenner: Rita Laura Segato: Wider die Grausamkeit. Für einen feministischen und dekolonialen Weg
Rita Schäfer: Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen
Reinhart Kößler: Dan Diner: Ein anderer Krieg. Das jüdische Palästina und der Zweite Weltkrieg 1935-1942
Sowmya Maheswaran: Harini Amarasuriya, Tobias Kelly, Sidharthan Maunaguru, Galina Dustinova-Stjepanovic & Jonathan Spencer (Hg.): The Intimate Life of Dissent: Anthropological Perspectives
Anja Habersang: Sebastian Garbe: Weaving Solidarity. Decolonial Perspectives on Transnational Advocacy of and with the Mapuche
Gerhard Hauck: Christian Reumschüssel-Wienert: Psychiatriereform in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Chronik der Sozialpsychiatrie und ihres Verbandes – der DGSP
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Leseproben
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Abstracts
Globale Ungleichheiten avant la lettre: Theoretische Genealogien und radikale Kritik (Manuela Boatcă)
In dem Artikel argumentiere ich, dass die Weltsystemanalyse entscheidend dazu beigetragen hat, die theoretischen und methodologischen blinden Flecken der Soziologie aufzudecken und einen umfassenden Rahmen für die Untersuchung globaler Ungleichheiten zu formulieren. Damit nahm sie sowohl die Kritik an Eurozentrismus und methodologischem Nationalismus, die von transnationalen und postkolonialen Ansätzen vorgebracht wurde, als auch die Debatten über die Zunahme globaler Ungleichheiten um mehrere Jahrzehnte vorweg. Ich führe diese analytische Vorrangstellung auf mehrere Faktoren zurück: erstens auf die methodologische Verschiebung der Weltsystemanalyse als einer Form von früher globaler Soziologie vom Nationalstaat zur gesamten kapitalistischen Weltwirtschaft; zweitens auf die Beziehung zwischen der methodologischen Verschiebung und der epistemologischen Kritik und ihrer Rolle in Wallersteins frühem Ansatz zu globalen Ungleichheiten. Schließlich gehe ich auf das Verhältnis zwischen der Selbstdefinition der Weltsystemanalyse als einer Form des Protests gegen die Mainstream-Sozialwissenschaft (und nicht als einer Theorie) und den theoretischen und politischen Verflechtungen mit postkolonialen und dekolonialen Ansätzen ein, um zu zeigen, wie sie gemeinsam zur Prominenz des Themas der globalen Ungleichheiten beigetragen haben. Schlagwörter: globale Ungleichheiten, Eurozentrismus-Kritik, Analyseeinheit, Epistemologie, (De)Kolonialität
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Eine „Neue Amin-Lektüre“? Der ungleiche Tausch auf dem Weltmarkt und die Rolle des Nationalstaats im Werk von Samir Amin (Robert Heinze)
Der Artikel unternimmt eine Relektüre des Werks von Samir Amin, indem er zwei aktuelle Forschungstrends verbindet: die „Wiederentdeckung“ der Dependenztheorie (und von Samir Amin) durch Teile der Wirtschafts- und anderer Sozialwissenschaften und die Neubewertungen der internationalen emanzipatorischen Projekte der „Dritten Welt“, wie Bandung und die Neue Internationale Weltwirtschaftsordnung. Dazu fokussiert er auf die Rolle, die die Nation in Amins Werk spielt und postuliert, dass eine Untersuchung dieses Problems uns helfen kann, eine antinationale Kritik zu entwickeln, die gleichzeitig erkennt, warum Nationen ein so wichtiger Hebel für marxistische Analysen aus dem globalen Süden waren. Amins Werk biete so den Schlüssel für eine neue, fundierte Kritik des nationalistischen Antiimperialismus. Schlagwörter: Samir Amin, Marxismus, Dritte Welt, Nationalismus, Dependenztheorie
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Kapitalismus dezentrieren! Strukturelle Heterogenität und bedarfsökonomischer Sektor als Schlüsselkategorien einer politischen Ökonomie des Südens (Jakob Graf)
In vielen Ländern des Globalen Südens findet die soziale Reproduktion eines großen Teils der Bevölkerung in hohem Maße außerhalb des kapitalistischen Sektors statt. Dies hat Folgen für die dort verbreiteten gesellschaftlichen Natur- und Klassenverhältnisse sowie für die zentralen Konfliktdynamiken in diesen Gesellschaften. Dieser Artikel fragt danach, wie wir diese Gesellschaften des Globalen Südens kapitalismustheoretisch verstehen können, ohne ihnen die Kategorien der Zentrumsländer überzustülpen. Dafür wird das analytische Konzept der strukturellen Heterogenität sowie der empirische Begriff des bedarfsökonomischen Sektors vorgeschlagen. Diese führen kapitalismustheoretisch deutlich über ein rein ökonomisches Verständnis struktureller Heterogenitäten hinaus und ermöglichen die Analyse aktueller sozial-ökologischer Verteilungskonflikte. Dafür, so wird abschließend deutlich, sind eigene Begrifflichkeiten nötig, die sich von denjenigen unterscheiden, die klassischerweise für die Analyse des Kapitalismus in den frühindustrialisierten Zentrumsländern entwickelt wurden. Schlagwörter: Kapitalismus, strukturelle Heterogenität, sozial-ökologische Konflikte, Weltsystemansatz, Dependenztheorie, politische Ökonomie, politische Ökologie
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Alles nur Zusammenbruch? Ein Vorschlag zur Anwendung des Weltökologie-Ansatzes für empirische Gegenwartsforschung (Axel Anlauf)
Ausgehend von einer kurzen Darstellung zentraler Begriffe in dem von Jason Moore geprägten Weltökologie-Ansatz, bemüht sich der Artikel einige Missverständnisse in der deutschen Rezeptionsdebatte zu klären. Er zeigt, dass der Weltökologie-Ansatz nicht bloß eine (ökologische) Zusammenbruchs Theorie ist, sondern wichtige Impulse für die Forschung zu Ressourcenpolitik und globalen Ungleichheiten liefern kann. Ein zentraler Fokus liegt herbei auf dem Begriff der commodity frontier und der Aneignung natürlicher Ressourcen für die Kapitalakkumulation. Aufgrund der starken Strukturorientierung im Weltökologie-Ansatz, plädiert der Artikel für eine Weiterentwicklung um weitere Theorie-Stränge. Mit Hilfe der Forschung zu Warenketten bzw. Produktionsnetzwerken und der materialistischen Staatstheorie entwickelt er einen Forschungsrahmen, der es ermöglicht, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse auf verschiedenen Ebenen in die Analyse von Rohstoffflüssen zu integrieren. Dies ebnet den Weg zu einer ergebnisoffenen Gegenwartsforschung und einer Operationalisierung abstrakter Kategorien wie cheap nature. Schlagwörter: Weltökologie, commodity frontier, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse, Stoff ströme, globale Produktionsnetzwerke
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Die Aktualität der Frontier als Analysekonzept – eine Einordnung der aktuellen Landkonflikte in Amazonien (Maria Backhouse)
Im vorliegenden Artikel möchte ich zum einen die Frage beantworten, was neu an den Konflikten der letzten Jahre in der brasilianischen Amazonasregion um Abholzung und Landraub ist. Zum anderen möchte ich zeigen, dass das Konzept der Ressourcen-Frontier hilfreich zum Verständnis dieser aktuellen Dynamiken und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ist. Jason Moores Interpretation der Ressourcen-Frontier ist dafür ein wichtiger Ausgangspunkt, denn er verbindet darin die historische Perspektive der Weltsystemanalyse mit einer Verflechtungsperspektive auf die Ausweitung kapitalistischer Warenbeziehungen. Doch obwohl Moore die Frontier als gesellschaftlich umkämpft konzeptualisiert, gibt er wenige Anhaltspunkte, wie diese gesellschaftlichen Auseinandersetzungen untersucht werden könnten. Eine stärkere Untersuchung der Rolle des Staates und der Akteur*innen auf der lokalen und nationalstaatlichen Ebene ist aber notwendig, um sowohl die gesellschaftlichen Triebkräfte der Frontiers, aber auch ihre gesellschaftliche Einhegung verstehen zu können. Deshalb werde ich in diesem Artikel den Frontier-Ansatz mit akteurszentrierten Interpretationen erweitern und auf die Konflikte um die Kontrolle der Landnutzung anwenden. Ich werde herausarbeiten, dass es den sozialen Bewegungen und ihren Verbündeten ab den 1980er Jahren gelang, Landraub und Abholzung über die Einrichtung von Schutzgebieten und kollektiven Landrechten einzudämmen. Neu an den Abholzungs- und Landraubdynamiken der letzten vier bis sechs Jahre ist, dass diese errungenen Landrechte erneut unter den Druck von Landspekulation, Bergbau oder Viehweiden geraten sind. Zum Schluss werden die Herausforderungen für den Wald- und Klimaschutz vor dem Hintergrund der Präsidentschaftswahl 2022 diskutiert. Schlagwörter: Ressourcen-Frontier, fortgesetzte ursprüngliche Akkumulation, Privatisierung, Eigentumsrechte, Landraub, Widerständigkeiten, Amazonien
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Glokal ungleiche Entwicklung: Jordanische Sonderwirtschaftszonen der globalen Bekleidungsindustrie im Lichte des Jordan Compact (Stefanie Hürtgen & Maximilian Hofmann)
Sonderwirtschaftszonen gelten als ein etabliertes Instrument zur Förderung der sozialen und wirtschaftlichen „Entwicklung“ und neuerdings auch zur sog. Aktivierung und Integration von Geflüchteten. In diesem Beitrag setzen wir uns kritisch mit einem vermeintlichen Paradebeispiel des Nexus „Entwicklung“ und „Geflüchtetenintegration“ auseinander: dem Jordan Compact, ein 2016 verabschiedetes bilaterales Abkommen zwischen Jordanien und der Europäischen Union. Wir knüpfen in der Darstellung einerseits an Weltsystemansätze an, unterstreichen andererseits aber die Notwendigkeit einer raumtheoretischen Aktualisierung. Denn ungleiche Entwicklung, so diskutieren wir mit Blick auf die globalen Produktionsnetzwerke der Bekleidungsindustrie und die Arbeits- und Lebensbedingungen in den jordanischen Sonderwirtschaftszonen, muss systematisch als glokal verfasste in den Blick genommen werden. Multiskalare sozialräumliche Fragmentierung der Arbeits- und Reproduktionsbedingungen ist hiernach konstitutiv für die gegenwärtige neoliberale Globalisierung. Schlagwörter: Sonderwirtschaftszonen, ungleiche Entwicklung, Globale Warenketten, Arbeitsregime, Jordanien
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Die Rückgewinnung Colombos: Die postkoloniale Geopolitik der sri-lankischen Urbanisierung (Shelby E. Ward & Ranitri Weerasuriya)
Dieser Beitrag befasst sich mit den geopolitischen und geoökonomischen Machtverhältnissen im Kontext mehrerer neuerer Hochhaus-, Gewerbe- und Tourismusprojekte in einem Gebiet, das als zukünftiger Standort eines „Downtown“ Colombo bezeichnet werden kann. Solche Urbanisierungsprojekte dienen als Beispiele für die Kritik und versinnbildlichen die historisch gewachsenen postkolonialen Beziehungen in der sich globalisierenden Welt. Im Zentrum steht das „Colombo Port City“-Projekt, das von der chinesischen Regierung und Sri Lankas Ministerium für Megapolis und Westliche Entwicklung unterstützt wird. Dieses Projekt basiert für die 575 Hektar, um die die Insel erweitert wurde, auf einem 99-jährigen Pachtvertrag mit China für das „John Keels Cinnamon Life“-Projekt, das sowohl von lokalen Investor*innen als auch von amerikanischen Hedge-Fonds unterstützt wird. Geplant ist nicht nur ein weiteres großes Hotel, sondern Wohnungen, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und ein Casino. Die Vertreibung von „Slave Island“ zugunsten der Entwicklung rund um Cinnamon Life deutet auf einen Trend hin, der von anderen Projekten wie dem Bau des Shangri-La-Hotels angestoßen wurde. Diese Vertreibungen von Einzelpersonen oder Gemeinschaften werden entweder durch behördliche Eingriffe erzwungen oder sind Folge steigender Preise. Die Autorinnen schlagen zum einen vor, die Politik der Urbanisierung Colombos unter dem Prinzip der „Rückgewinnung“ nachzuzeichnen. Dabei ist mit „Rückgewinnung“ nicht nur die physische Aufschüttung und Trockenlegung von Land (physical reclaimed land) für das Projekt gemeint, sondern auch die Rückforderung von Land aus der Vertreibung (land reclaimed from the Slave Island evictions) und die weiter bestehende Möglichkeit, außergewöhnliche Herrschaftsgewalt für das „öffentliche Wohl“ auszuüben. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob solche Investitionen und Partnerschaften auf wiedergewonnene oder fortbestehende koloniale Machtverhältnisse hindeuten oder ob Sri Lanka seine Position als geostrategischer Partner in den internationalen Beziehungen wiederbeansprucht. Zum anderen argumentieren die Autor*innen, dass eine dynamische und vielschichtige Sichtweise, die von den makroökonomischen und politischen zwischenstaatlichen Investitionen bis hin zur Mikroebene der Individuen reicht, notwendig ist, um eine postkoloniale Kritik an der Globalisierung und der zeitgenössischen Geopolitik zu üben. Ein solcher Blickwinkel ist notwendig, um die Frage zu stellen, ob diese Projekte alternative Modelle und Beziehungen zum Fortschritt und zur südasiatischen Moderne bieten, also zu dem, was bisher in städtischen, postkolonialen Entwicklungsnarrativen zu finden war. Schlagwörter: Enteignung; Geopolitik; Globalisierung; postkolonialer Urbanismus; Colombo; Sri Lanka
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