Inhalt
Soziologiemagazin
1-2023 (Heft 27): Was kann die Kunst? Soziologische Annäherungen an politische und politisierende Potentiale künstlerischer Interventionen
Michelle Giez / Annabell Lamberth: Editorial: Was kann die Kunst? Soziologische Annäherungen an politische und politisierende Potentiale künstlerischer Interventionen
Schwerpunkt
Veronika Riedl: Forschen an der Schnittstelle von Soziologie und künstlerischer Praxis. Ein Expert*inneninterview mit Ana Mijić und Michael Parzer
Marc Blüml: Hegemoniale Ablehnung der kritischen Kunstsoziologie Adornos. Kritische Diskursanalyse der Nutzung des Kulturindustrie-Konzepts im deutschsprachigen soziologischen Diskurs
Annabell Lamberth / Philip Dingeldey: Von der Entfremdung zur Verfremdung. Das epische Theater zwischen Kunst und Marxscher Sozialtheorie
Jasmin Schmidlin: Nicolàs Lamas „skulpturale Mischformen“ als Möglichkeit neuer „naturkultureller“ Daseinsformen
Perspektive
Hendrik Erz: Das Archiv als Ort der Bildproduktion. Ein Expert*inneninterview mit Roland Meyer
Max Tretter: Kunst – Provokation – Politik. Der Auftritt von Zugezogen Maskulin bei der 30-jährigen Jubiläumsfeier des Mauerfalls am Brandenburger Tor
Lukas Geisler: Ein radikaler Universalismus der Befreiung. Jenseits liberalen Denkens
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Abstracts
Hegemoniale Ablehnung der kritischen Kunstsoziologie Adornos. Kritische Diskursanalyse der Nutzung des Kulturindustrie- Konzepts im deutschsprachigen soziologischen Diskurs (Marc Blüml)
Der vorliegende Beitrag gibt die Ergebnisse einer Kritischen Diskursanalyse nach Jäger wieder, welche anhand deutschsprachiger soziologischer Journal-Artikel im Zeitraum zwischen 2000 und 2021 die Stellung des Kulturindustrie-Konzepts im Diskurs analysiert, welches zentral für Adornos Kunstsoziologie ist. Mit der foucaultschen Diskurstheorie und Gramscis Hegemonietheorie wird dabei differenziert zwischen hegemonialen, herrschenden Diskurspositionen der Journals mit dem höchsten Impact-Faktor sowie subalternen, herrschaftskritischen Diskurspositionen in Journals mit explizit subversivem Anspruch. Die Ergebnisse validieren die häufig getätigte, aber empirisch meist nicht belegte These, dass Adornos Kulturindustrie-Konzept im hegemonialen Diskurs meistens abgelehnt oder musealisiert wird. Im subversiven Diskurs hingegen wurde produktiv an das Konzept angeschlossen, indem es anhand der neuen technologischen und gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere des Internets und des Neoliberalismus, aktualisiert wurde. Schlagwörter: Kulturindustrie; Kritische Diskursanalyse; Kritische Theorie; wissenschaftliche Hegemonie
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Von der Entfremdung zur Verfremdung. Das epische Theater zwischen Kunst und Marxscher Sozialtheorie (Annabell Lamberth & Philip Dingeldey)
Mit dem epischen Theater schuf Bertolt Brecht Anfang des 20. Jahrhunderts eine neue, experimentelle Form des Theaters, die darauf abzielt, die Zuschauer*innen zum distanzierten Nachdenken und Hinterfragen der Gesellschaft anzuregen, also nicht nur Soziales in Kunstform zu behandeln, sondern die Gesellschaft selbst in den Reflexionsprozess zu integrieren. Um dies zu erreichen, setzte er Techniken zur Desillusionierung und Verfremdung ein. Bei Brechts Stücken handelt es sich um Kunstformen, die sozial intervenieren und daher nicht nur der literatur- und theaterwissenschaftlichen, sondern auch der sozialwissenschaftlichen Betrachtung bedürfen. Hierzu liest der vorliegende Aufsatz den Künstler Brecht als Sozialtheoretiker und untersucht, inwiefern die Entfremdungsproblematik bei Marx und die Verfremdung bei Brecht in Verbindung stehen und inwieweit die Verfremdungseffekte die Entfremdungsproblematik zu lösen versuchen. Methodisch wird theorievergleichend und analytisch vorgegangen – was die Beziehung von Marx‘ Entfremdungstheorie und Brechts epischen Theater betrifft. Beispielhaft wird das Verhältnis von Ent- und Verfremdung anhand des Stücks Der gute Mensch von Sezuan beleuchtet. Schlagwörter: Theater; Entfremdung; Verfremdung; künstlerische Intervention; Marxismus
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Nicolàs Lamas „skulpturale Mischformen“ als Möglichkeit neuer „naturkultureller“ Daseinsformen (Jasmin Schmidlin)
Bei einem Blick auf die letzten drei Jahrzehnte treten die Klimakrise, sich verschärfende Ungleichheiten, insbesondere im Globalen Süden und (öko-)queer-feministische Kämpfe in den Vordergrund. In sozial- und geisteswissenschaftlichen Diskursen hat sich indes eine Fokussierung auf Materialität bemerkbar gemacht, die Materie jenseits der westlich-androzentrischen Denktradition der Dualismen zu denken sucht (Hoppe & Lemke, 2021). Dieser Artikel greift die zentralen Strategien der Hybridisierung und Relationalität auf, die für den Neuen Materialismus charakteristisch sind und zeichnet diese in den künstlerischen Arbeiten von Nicolàs Lamas nach. Lamas gelingt es, das Hybride in den Mittelpunkt zu stellen und dadurch dualistische Grenzziehungen und temporale Fixierungen aufzuheben. Seine Objekte werden zu „skulpturalen Mischformen“ (Thalmair, 2022a, S. 12), die sich in und mit den Sinnen des Betrachtenden wiederholt formieren und materialisieren. Dieser Artikel zeigt, wie seine künstlerische Arbeit über das Abbilden wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Debatten hinausgeht und stattdessen naturkulturelle Daseinsformen erprobt. Schlagwörter: Neue Materialismen; Feministische Theorie; Zeitgenössische Kunst; Nicolàs Lamas
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Kunst – Provokation – Politik. Der Auftritt von Zugezogen Maskulin bei der 30-jährigen Jubiläumsfeier des Mauerfalls am Brandenburger Tor (Max Tretter)
Dieser Beitrag erforscht das Wechselspiel von Kunst und Politik am Beispiel des Auftrittes von Zugezogen Maskulin bei der Bühnenshow zur Feier des 30-jährigen Mauerfalljubiläums am Brandenburger Tor am 09. November 2019. Die Performance des Rapduos zeichnet sich insbesondere durch ihre Provokativität aus – dadurch, dass die beiden Rapper alternative Verfallsdeutung der deutschen Nachwiedervereinigungsgeschichte entwerfen und kritisch betonen, wie schnell die Ideale, die Deutschland seit den 1989ern prägen sollen, gegenwärtig in Exzessphantasien und Kriegseuphorie umschlagen können. Vor dem Hintergrund eines agonistischen Politikverständnisses wird eine Wahrnehmungsweise erarbeitet, die es ermöglicht, die in diesen künstlerischen Provokationen steckenden politischen Potentiale zu erkennen. Die Plausibilität und Grenzen dieser Wahrnehmungsweise werden anschließend diskutiert und weiterführende Impulse für das Erforschen des Kunst-Politik-Feldes gewonnen. Schlagwörter: Hip Hop; Erinnerungskultur; Agonismus; Wiedervereinigung
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Ein radikaler Universalismus der Befreiung. Jenseits liberalen Denkens (Lukas Geisler)
In diesem Essay versuche ich, vor dem Hintergrund der Debatte um Identitätspolitik sowie um die gescheiterte documenta 15, eine universalistisch globale Ästhetik zu ergründen. Dabei lehne ich mich formal an Omri Boehms Argumentation für einen radikalen Universalismus an. Im Gegensatz zu Boehm versuche ich allerdings, die universalistische Konzeption materialistisch-dialektisch zu denken. Dafür muss allerdings eine metaphysisch anmutende Möglichkeit der Befreiung gesetzt werden, die, angelehnt an Karl Marx, nur als kollektiver Prozess verstanden werden kann. Auf einen Satz gebracht heißt das: Befreiung wird nicht durch Universalismus, sondern Universalismus wird durch Befreiung möglich. Aus dem Versuch, Boehms Konzept vom Kopf auf die Füße zu stellen, ergibt sich eine universalistische radikal-kollektive Theorie der Befreiung. Übertragen auf zwei Beispiele liefert sie eine Grundlage, auch die Geschehnisse der documenta 15 unter anderen Gesichtspunkten zu begreifen und ein neues Schlaglicht auf die Diskussion um ein geteiltes globales universalistisches Verständnis von Ästhetik(en) zu werfen. Schlagwörter: Universalismus; Befreiung; documenta 15; globale Ästhetik
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