Beschreibung
Open Access: Der Titel “Eigene und gemeinsame Lernarbeit” (DOI: 10.3224/84743012) ist kostenlos im Open Access (PDF) herunterladbar oder kostenpflichtig als Print-Ausgabe erhältlich. Der Titel steht unter der Creative Commons Lizenz Attribution 4.0 International (CC BY 4.0): https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Die traditionellen Formen und Inhalte des Unterrichts werden den Herausforderungen der Zukunft nicht mehr gerecht. Über „Bildungs“-Wissen hinaus ist ein erweitertes und anspruchsvolles Verständnis von „Erziehung“ erforderlich. In dieser Zielsetzung wird ein alternatives Konzept der Lernorganisation entwickelt: Heranwachsende erarbeiten in eigener Lernarbeit individuelle Kompetenz-Profile und erfahren gleichzeitig in gemeinsamen Projekten, dass alle mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen verantwortungsbewusst zum Gelingen beitragen können und müssen.
Traditionelle Schulstrukturen passen sich weder wachsender Vielfalt noch unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten von Schüler*innen an. Sie bremsen die Entfaltung sowohl leistungsstarker als auch weniger leistungsstarker Schüler*innen aus und vernachlässigen individuelle Interessen. Zusätzlich fehlt in Diskussionen über notwendige Veränderungen die nötige Klarheit bezüglich zentraler Begriffe wie „Bildung“ oder „Erziehung“.
Die Lösung liegt in der Öffnung der festen Lehrpläne, um individuelle Kompetenzprofile zu entwickeln. Dies sollte in heterogenen Gruppen erfolgen, um kooperatives Lernen zu fördern und bessere Ergebnisse zu erzielen. Der Autor stellt dieses Konzept vor und zeigt konkrete Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung.
Online-Anhang: 10.3224/84743012A
Inhaltsverzeichnis + Leseprobe
Der Autor:
Prof. i.R. Dr. Jörg Schlömerkemper, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt a.M.
Hier finden Sie den Waschzettel zum Buch (PDF-Infoblatt).
Die Fachbereiche:
Erziehungswissenschaft
Gerhard Tulodziecki –
Jörg Schlömerkemper geht nach einer Einschätzung der gegenwärtigen gesellschaftlichen und bildungsbezogenen Gesamtsituation davon aus, dass sich Schule „in einer ‚tiefen Krise‘ befindet und dass es so nicht ‚weitergeht‘“ (S. 11). Dies führt ihn dazu, „radikaler nach den Ursachen“ zu fragen und „konsequenter nach Ansätzen zu suchen, […] die wirklich zu einem ‚Aufbruch‘ führen können“ (S.11). Die Schwäche bisheriger Ansätze zu einer Transformation von Schule sieht er vor allem darin, dass sie sich in ihrer Vielfalt „nicht zu einem in sich stimmigen Bild“ zusammenfügen und dabei die „überkommende Grundstruktur schulischen Lehrens und Lernens“ als „gegeben“ voraussetzen, insbesondere die Organisation in Jahrgangsklassen und die durch (weitgehend) „unumstößliche“ Curricula vorgegebene Abfolge der „Stoff“-Vermittlung (S. 11). Demgegenüber plädiert Jörg Schlömerkemper „für eine öffnende curriculare Vielfalt und eine entsprechende Gestaltung des Lernens und Lehrens“ und strebt so „eine sinnvolle und machbare Perspektive“ für Lernen, Lehren und Schule an.
Die entsprechende Intention wird in zwei großen Schritten umgesetzt: Erstens in einem Teil A, in dem es um Grundlagen für ein Neudenken von Lernen, Lehren und Schule geht, wobei diese im Sinne aktueller Herausforderungen, offensiver Wendungen und theoretischer Orientierungen in den Blick genommen werden, und zweitens in einem Teil B, in dem der Autor die leitende Idee einer diskursiven Lernkultur entfaltet. In diesem Zusammenhang werden zunächst offene Fragen aufgenommen und Prioritäten aufgezeigt. Danach rückt die konzeptionelle und praxisbezogene Ausgestaltung von gemeinsamer und eigener Lernarbeit in den Mittelpunkt. Beide Formen der Lernarbeit sollen unter anderem dadurch verbunden sein, dass Lernende – ausgehend von geeigneten Aufgabenstellungen – in eigener Lernarbeit individuelle Kompetenzen im Sinne von Kompetenz-Profilen entwickeln und diese in gemeinsamer Lernarbeit zur Geltung bringen. So können alle mit ihren Kompetenzen in verantwortlicher Weise zur Realisierung miteinander geteilter Ziele beitragen. Anschließend werden Perspektiven der Umsetzung unter Berücksichtigung verschiedener Bedingungen und Anforderungen an Schule aufgezeigt. Im Anhang finden sich schließlich Hinweise auf themenbezogene historische Prozesse und Konzepte, auf Anregungen aus der pädagogischen Literatur sowie auf beeindruckende Reformbeispiele.
Das Buch von Jörg Schlömerkemper zeichnet sich zunächst durch eine konsequente Gedankenführung aus: Von der Diskussion gegenwärtiger Problemlagen geht es über die Darstellung gut nachvollziehbarer, theoretisch fundierter und praxisbezogener Lösungsvorschläge hin zu Fragen der Umsetzung. Dabei werden auch Überlegungen aus – früher vom Autor publizierten – Arbeiten in konzentrierter Form für die Bearbeitung der zentralen Fragestellungen des vorliegenden Buches herangezogen. Hierzu gehören unter anderem seine Forderungen nach Sensibilität für „Antinomien“, seine Überlegungen zu dem, was bei pädagogischen Deutungen und praktischen Vorschlägen „wirksam“ wird und jeweils reflektiert werden sollte, wobei „Gegebenes“, „Gewordenes“, „Gestaltetes“, „Begriffenes und Benanntes“ „Gewünschtes“, „Verdrängtes und Verborgenes“ zu bedenken sind (S. 52-57). Besonders wichtig ist zudem die Unterscheidung verschiedener Felder der Persönlichkeits-Entwicklung: Körperlichkeit, Emotionalität, kognitive Kompetenzen, sozial-ethische Haltungen und ästhetische Achtsamkeit (S. 63-67).
Des Weiteren ist die stets gegebene Mehrperspektivität der Darstellung unter Berücksichtigung verschiedener Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten in besonderer Weise hervorzuheben. Insofern ist das Buch selbst ein gelungenes Beispiel für eine pädagogische Diskurs-Kultur, wie sie von Jörg Schlömerkemper immer wieder für die Erziehungswissenschaft eingefordert wird. Zu diesem Aspekt passt auch, dass der Autor seine Ausführungen selbst als „Einladung zu einem ‚Diskurs‘“ versteht (S. 11). In diesem Sinne wäre es z. B. interessant zu diskutieren, wie sich die vielfältigen Anregungen zum Lernen und Lehren in mikrostrukturell organisierte und lerntheoretisch fundierte Abläufe mit detailliert abgestimmten sozialen und individuellen Phasen einbinden lassen. Dabei wäre zugleich zu überlegen, wie mit entsprechenden Lern-Lehr-Abläufen sowohl der Wissenserwerb und die emotionale Stabilität als auch komplexe Denkweisen und die sozial-ethische Entwicklung gefördert werden können – gegebenenfalls auch vor dem Hintergrund von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz.
Insgesamt empfiehlt sich das Buch mit seinen theoretischen Fundierungen und seinen zukunftsorientierten Denkanstößen sowie seinen vielfältigen praktischen Anregungen als wichtige Lektüre für Lehrkräfte und Schulleitungen, für Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler sowie für alle, die ein Lehramt anstreben – sei es im Studium, im Referendariat oder als Seiteneinstieg.
Gerhard Tulodziecki, Paderborn, 20.06.2024