Inhalt
BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen
2-2013: Freie Beiträge
Beiträge
Bettina Dausien: „Biographieforschung“ – Reflexionen zu Anspruch und Wirkung eines sozialwissenschaftlichen Paradigmas
Nadja Messerschmidt: Zur Humanistischen Soziologie Florian Znanieckis. Ein Rückblick auf die biographische Methode am Institut für Soziologie der Adam-Mickiewicz-Universität, Posen in der Zwischenkriegszeit (1920-1939)
Sebastian Günther / Wiebke Janssen: „Beamte des sozialistischen Staates“? Professoren der Medizin in der DDR (1968-1989)
Alexander von Plato: Kanada, die Vereinigten Staaten und die Wiedervereinigung Deutschlands
Karin Martensen: Weiblicher Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg: Nur singen und Verbände wechseln? Oder: Eine Opernsängerin, die nicht singt, sondern Skandale aufdeckt
Projektbericht
Felicitas Söhner: Toleranz, Erinnerungskultur und innerer Einigungsprozess. Zu den Gödelitzer Biographiegesprächen
Länderberichte
Gelinada Grinčenko: Oral History in der Ukraine. Institutionalisierung, Forschungsthematik, akademische Anerkennung
Wiedergelesen
Martin Kohli: Wie es zur „biographischen Methode“ kam und was daraus geworden ist. Ein Kapitel aus der Geschichte der Sozialforschung
Literaturbesprechungen
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Abstracts
„Biographieforschung“ – Reflexionen zu Anspruch und Wirkung eines sozialwissenschaftlichen Paradigmas (Bettina Dausien)
Der Beitrag diskutiert Entwicklungen und Positionsbestimmungen der Biographieforschung angesichts aktueller Debatten und Herausforderungen. Ausgehend von der Frage, wie das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft in den Anfängen der Biographieforschung gedacht wurde, richten sich die Überlegungen darauf, wie sich die Biographieforschung – im Kontext gesellschaftlicher Verschiebungen eben jenes Verhältnisses – selbst verändert hat und welche Forschungsperspektiven gegenwärtig auf der Tagesordnung stehen. Grundlage ist eine Rede anlässlich des Symposiums zur Verabschiedung von Wolfram Fischer im Oktober 2013 an der Universität Kassel.
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Zur Humanistischen Soziologie Florian Znanieckis. Ein Rückblick auf die biographische Methode am Institut für Soziologie der Adam-Mickiewicz-Universität, Posen in der Zwischenkriegszeit (1920-1939) (Nadja Messerschmidt)
Die Aufnahme von Autobiographien in die sozialwissenschaftliche Forschung und, weit mehr noch, ihre Anerkennung als wissenschaftliche Dokumente ist der Begegnung und jahrelangen Zusammenarbeit zweier Wissenschaftler zu verdanken: des amerikanischen Sozialpsychologen und Soziologen William I. Thomas (1863-1947) und des polnischen Philosophen und Soziologen Florian Znaniecki (1882-1958). Ihr Werk The Polish peasant in Europe and America, in den Jahren 1918-1920 publiziert, arbeitete mit Lebensgeschichten und Briefserien und wurde ein migrationssoziologischer Klassiker. Seitdem ist die Arbeit mit Biographien in der Soziologie als biographische Methode bekannt. Der Artikel stellt die Weiterentwicklung der biographischen Methode durch Florian Znaniecki in Polen nach dem Ersten Weltkrieg vor, die im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannt geblieben ist. Nach einem kurzen Rückblick auf die Polish-Peasant-Studie stellt er ihre theoretischen Grundlagen und wissenschaftspolitischen Zielsetzungen dar, diskutiert ihre Stärken anhand dreier monographischer Beispiele und benennt historische und wissenschaftshistorische Gründe ihrer bis heute wirksamen Verdrängungsgeschichte. In historischer Perspektive unterstreicht der Artikel den unverzichtbaren wissenschaftlichen Wert biographischer Dokumente.
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„Beamte des sozialistischen Staates“? Professoren der Medizin in der DDR (1968-1989) (Sebastian Günther, Wiebke Janssen)
Im vorliegenden Aufsatz werden ausgewählte Ergebnisse einer kollektivbiographischen Untersuchung von Medizinprofessoren in der DDR (1968 bis 1989) vorgestellt. Im Zentrum der Analyse stehen Generationszugehörigkeit, soziale Herkunft und politisches Organisationsverhalten der Professorinnen und Professoren (von 160 erfassten Personen waren sieben Frauen). Die Ergebnisse lassen einige grundlegende Tendenzen der akademischen DDR-Medizin in der so genannten „Ära Honecker“ erkennen. Sie zeigen weiterhin, dass die mit der 3. Hochschulreform verfolgte Politik der SED, traditionelle Universitäten in sozialistische Hochschulen umzuwandeln sowie aus Ordinarien „Beamte des sozialistischen Staates“ zu machen, zumindest in struktureller und personeller Hinsicht nicht ohne Folgen geblieben ist.
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Kanada, die Vereinigten Staaten und die Wiedervereinigung Deutschlands (Alexander von Plato)
Die durchaus unterschiedliche Politik der beiden nordamerikanischen Staaten zur Wiedervereinigung 1989/90 wird vorgestellt und miteinander verglichen, auch im Verhältnis zur sowjetischen Politik. Dabei geht es unter anderem um die Widersprüche zwischen der kanadischen Regierung und dem Auswärtigen Ausschuss des kanadischen Parlaments. Letzterer hätte eine neue europäische Sicherheitsstruktur statt Warschauer Vertrag und NATO unter Einschluss der Sowjetunion und der beiden Nordamerikanischen Staaten bevorzugt. Zugleich wird der Wert von Interviews mit hochrangigen Personen aus Politik und Opposition untersucht.
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Weiblicher Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg: Nur singen und Verbände wechseln? Oder: Eine Opernsängerin, die nicht singt, sondern Skandale aufdeckt (Karin Martensen)
Anna Bahr-Mildenburg (1872-1947), die große Sängerin der Ära Gustav Mahler in Hamburg und Wien, arbeitete ab 1914 als Hilfs-Krankenschwester in einem Krankenhaus in Salzburg. Darüber berichtete sie in drei Aufsätzen in der Wiener Neuen Freien Presse bzw. dem Salzburger Volksblatt, in ihren Erinnerungen sowie (deutlich ungeschönter) in ihrem bislang unveröffentlichten Tagebuch. Fügt man diese Dokumente montageartig aneinander, können sie sich gegenseitig als Ergänzung und Korrektiv dienen. Diese Konstruktion von Wirklichkeit ermöglicht neue Lesarten und macht die Erlebnisse und Einschätzungen Bahr-Mildenburgs auch über ihren speziellen Fall hinaus interessant.
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Wie es zur „biographischen Methode“ kam und was daraus geworden ist. Ein Kapitel aus der Geschichte der Sozialforschung (Martin Kohli)
Das gegenwärtige Interesse an der „biographischen Methode“ bildet den Ausgangspunkt einer wissenschaftsgeschichtlichen Rekonstruktion ihrer Anfänge und Entwicklung mit dem Ziel, die Unklarheiten um diese Methode auszuräumen und ihre Lebenschancen zu beurteilen. Zunächst wird das klassische Werk von Thomas/Znaniecki „The Polish Peasant in Europe and America“ diskutiert. Die entscheidende Phase seiner Wirkungsgeschichte war die Zeit um 1940, in der die biographische Methode – im Zusammenhang mit dem Hegemonieverlust der Chicagoer Soziologie – trotz institutionalisierter Stützungsversuche in die Marginalität abgedrängt wurde. Ein ganz anderer Verlauf ergab sich in der polnischen Soziologie, in der (angestoßen durch Znaniecki) eine besondere Tradition der biographischen Methode als biographische „Bewegung“ entstand, ein historisch einmaliger Fall einer methodischen Sonderentwicklung innerhalb einer nationalen Soziologiekultur. Den Schluß bilden einige Bemerkungen zum aktuellen Stand der Arbeit mit der biographischen Methode, die im Rahmen der Ansätze zu einer interpretativen Sozialforschung ihren spezifischen Platz hat.
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