Inhalt
Zeitschrift für erziehungswissenschaftliche Migrationsforschung (ZeM)
1-2022: Flucht als Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Migrationsforschung
Donja Amirpur / Ulrike Hormel / Claudia Machold / Patricia Stošić: Editorial
Schwerpunktbeiträge
Albert Scherr: Forschung über Flucht und Flüchtlinge: Gegenstandsbestimmung, methodologische Herausforderungen und Rückfragen an das Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft
Ellen Kollender: „Es ist eher so, dass wir miteinander konkurrieren“: Außerschulische Bildungsprojekte für ‚Geflüchtete‘ im Kontext von ‚EU-Türkei-Deal‘ und New Educational Governance
Marcus Emmerich / Ulrike Hormel: ‚Flucht‘ als Beobachtungsregime: Legitimation sozialer Schließung im Schulsystem
Jana Posmek / Pascal Bastian: Die Zirkulation von Fluchtnarrationen. Über die Erzählungen von Fluchtwegen und deren Thematisierung in sozialpädagogischen Beratungskontexten
Kristin Goetze: Fluchtspezifische Paradoxien sozialarbeitswissenschaftlicher Theoriebildung – Die Wissenschaft Sozialer Arbeit zwischen Herrschaftskritik und einem Modus der Selbstvergewisserung
Rezensionen
Mai-Anh Boger: Kourabas, Veronika (2021): Die Anderen ge-brauchen – Eine rassismustheoretische Analyse von ‚Gastarbeit‘ im migrationsgesellschaftlichen Deutschland. Bielefeld: transcript.
Tagungsbericht
Judith Jording: Exploring Intersectionality – Building Solidarity across EU-Turkey Borders. Inclusive Education in Times of Forces Migration and COVID-19. Digitale Tagung. 11.-12.11.2020, IPC-Sabancı University-Stiftung Mercator Initiative, Sabancı University, Istanbul.
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Abstracts
Forschung über Flucht und Flüchtlinge: Gegenstandsbestimmung, methodologische Herausforderungen und Rückfragen an das Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft (Albert Scherr)
Die Flucht- und Flüchtlingsforschung hat sich inzwischen auch in Deutschland als ein eigenständiges, interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsfeld etabliert. Im Folgenden wird dargestellt, dass die Bestimmung des Forschungsgegenstandes theoretisch voraussetzungsvoll ist und nicht durch eine schlichte Übernahme politischer und rechtlicher Unterscheidungen von Flüchtlingen und anderen Migrant:innen erfolgen kann. Aufgezeigt wird vor diesem Hintergrund die Perspektive einer reflexiven Flucht- und Flüchtlingsforschung sowie deren Implikationen für die Erziehungswissenschaft. Akzentuiert wird dabei, dass es erforderlich ist, Distanz zu politischen und moralischen Aufladungen der Thematik einzunehmen sowie zwischen Strukturproblemen des Bildungs- und Erziehungssystems bzw. der Sozialen Arbeit einerseits und andererseits den besonderen Anforderungen zu unterscheiden, die tatsächlich oder vermeintlich aus den Biografien und den Lebenslagen von Flüchtlingen resultieren. Schlüsselwörter: Flüchtlingssituation, Migrationsprojekte, Gesellschaftstheorie, Moral, nationale Interessen, reflexive Forschung
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„Es ist eher so, dass wir miteinander konkurrieren“: Außerschulische Bildungsprojekte für ‚Geflüchtete‘ im Kontext von ‚EU-Türkei-Deal‘ und New Educational Governance (Ellen Kollender)
Der Beitrag präsentiert Ergebnisse einer diskurstheoretisch informierten Analyse der Bildungsprogramme und -projekte sowie (Selbst-)Verständnisse (inter-)nationaler (Nichtregierungs-)Organisationen, die im Kontext des ‚EU-Türkei-Deals‘ entstanden sind. Mit Fokus auf den türkischen Bildungsraum wird nachvollzogen, dass und wie sich die Organisationen an Logiken einer New Educational Governance orientieren, die sich im Zuge neoliberaler Transformationsprozesse und hiermit verschwimmender Grenzen zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben. Diese Orientierung zeigt sich u. a. im Bestreben der Organisationen, ‚Partnerschaften‘ mit dem Privatsektor einzugehen, dabei Bildungsprojekte an den Interessen des (Arbeits-)Marktes auszurichten sowie einer starken Output- und Evidenzorientierung der Akteur:innen. Diese Eingebundenheit ins internationale Bildungsregime kann nicht nur der Bildung solidarischer Bündnisse im Feld von Flucht und Bildung entgegenlaufen; sie prägt auch Bildungs- und Zielgruppenverständnisse, die subtilen (Bildungs-)Ausschlüssen von ‚geflüchteten Kindern und Jugendlichen‘ Vorschub leisten – von den Akteur:innen jedoch nicht unhinterfragt bleiben. Schlüsselwörter: Internationales Bildungsregime, New Educational Governance, Flucht, Türkei, Europäische Union, Nichtregierungsorganisationen
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‚Flucht‘ als Beobachtungsregime: Legitimation sozialer Schließung im Schulsystem (Marcus Emmerich, Ulrike Hormel)
Der Beitrag zeigt auf Basis einer explorativen qualitativen Fallstudie, dass die schulische Inklusion geflüchteter/neu migrierter Schüler:innen in lokalen Schulsystemen mit Mechanismen organisationaler Schließung einhergeht, die dazu führen, dass der Zugang zu höheren Bildungsgängen strukturell blockiert wird. Die beobachtungstheoretisch fundierte Analyseperspektive arbeitet die zentrale Funktion der polykontexturalen Konstitution von Legitimität im Rahmen schulorganisatorischer Entscheidungsprozesse heraus und kommt zu dem generalisierenden Befund, dass das Klassifikationsschema ‚Flucht‘ dabei insofern Regimecharakter annimmt, als es gruppenkonstituierende Schließungsprozesse im Bildungssystem generiert. Schlüsselwörter: Flucht, Migration, Bildungsungleichheit, Schulsystem, Schließung, Legitimität
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Die Zirkulation von Fluchtnarrationen. Über die Erzählungen von Fluchtwegen und deren Thematisierung in sozialpädagogischen Beratungskontexten (Jana Posmek, Pascal Bastian)
Der Fluchtweg und dessen Erzählung ist ein noch wenig erforschtes Feld. Basierend auf problemzentrierten Interviews mit Geflüchteten und teilnehmenden Beobachtungen von Asylberatungen geht der Beitrag der Untersuchung von Fluchtnarrationen und den Thematisierungen des Fluchtweges in der sozialpädagogischen Beratung nach. Die Analysen geben nicht nur Aufschluss darüber, was bzw. wie über ‚die Flucht‘ berichtet wird, sondern offenbaren darüber hinaus, dass sozialpädagogische Berater:innen, ebenso wie weitere Akteur:innen, an diesen Narrationen beteiligt sind. Theoretisch durch den von Bruno Latour herausgearbeiteten Begriff der Zirkulation gerahmt, folgen wir den Verschiebungen der Fluchtnarrationen, die nicht nur zwischen Professionellen und Adressat:innen zirkulieren; vielmehr treten auch verschiedene nicht-menschliche Akteure, Institutionen sowie die untersuchenden Wissenschaftler:innen selbst als Akteur:innen in Erscheinung, welche die Bedeutung der migration journeys bearbeiten, übersetzen und verändern. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf die Reflexion der eigenen Eingebundenheit von Forschenden in solchen Zirkulationsprozessen sowie bezüglich der Relevanz einer Weiterführung solcher Untersuchungen diskutiert. Schlüsselwörter: Fluchtweg, Fluchtnarrationen, Zirkulation, Reflexion
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Fluchtspezifische Paradoxien sozialarbeitswissenschaftlicher Theoriebildung – Die Wissenschaft Sozialer Arbeit zwischen Herrschaftskritik und einem Modus der Selbstvergewisserung (Kristin Goetze)
Der vorliegende Beitrag reflektiert Widersprüche sozialarbeitswissenschaftlicher Theoriebildung im Handlungsfeld Flucht. Diese sind in hohem Maße durch die asyl- und aufenthaltsrechtlichen Vorgaben des Feldes geprägt. Die These des Beitrags ist, dass die Sozialarbeitswissenschaft dies Vorgaben zu den eigenen (Interpretations-)Bedingungen affirmiert und so auch gesellschaftliche Widersprüche und Zuschreibungsprozesse fortgeschrieben werden. Die Verlaufsformen dieser fluchtspezifischen Widersprüche in den Theorien Sozialer Arbeit und die Grenzen normativer Fluchtpunkte in sozialarbeitswissenschaftlicher Theoriebildung thematisiert der vorliegende Artikel. Schlüsselwörter: Sozialarbeitswissenschaften, Fluchtforschung, Widersprüche, Lebensbewältigung, Menschenrechte
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