Beschreibung
Dieses Buch untersucht multiperspektivisch die Wirkungsgeschichte der Shoah in verschiedenen Settings von Erziehung und Bildung und reflektiert die bisherige theoretische und empirische Forschung. Das Wissen über und Bezüge zur Shoah vermitteln sich zwischen den Generationen weiter und aktualisieren sich zugleich fortlaufend in institutionellen und diskursiven Kontexten der Gegenwartsgesellschaft. Dies betrifft Pädagog*innen in mehrfacher Hinsicht: In ihrer eigenen Biographie und Lerngeschichte und in ihrer späteren Vermittlungspraxis. Die Autor*innen beschäftigen sich u.a. mit der Erinnerungspolitik, Gefühlserbschaften und der Thematisierbarkeit der Shoah in verschiedenen Sozialisierungsprozessen.
Eine entscheidende Rolle in der narrativen Verknüpfung spielen intergenerationale Narrationen, Wissensbestände und Praktiken, die das Denken und Handeln von Einzelnen und ganzen Gemeinschaften regulieren. Die fortlaufende institutionelle und diskursive Aktualisierung des Wissens zur Shoah betrifft Pädagog:innen in mehrfacher Hinsicht: In ihrer eigenen Biographie und Lerngeschichte und in ihrer späteren Vermittlungspraxis. Die Geschichte der Shoah und des Nationalsozialismus bilden in Deutschland einen kollektivbiografischen Referenzrahmen, der jedoch in seiner Bedeutung in Bildungs- und Erziehungsverhältnissen bislang kaum berücksichtigt wird. Vor diesem Hintergrund untersuchen die Beiträge des Sammelbandes multiperspektivisch die Wirkungsgeschichte der Shoah in verschiedenen Sozialisierungsprozessen. Die hier versammelten Artikel bündeln transdisziplinäre Perspektiven, divergente Erfahrungsdimensionen, konzeptionelle sowie begriffliche Überlegungen und reflektieren den bisherigen theoretischen und empirischen Forschungsstand.
Dieses Buch wurde im November 2022 von Norbert Reichel im Blog „Demokratischer Salon“ besprochen: „Ein kaum erschlossenes Thema“.
Inhaltsverzeichnis + Leseprobe
The editors:
Marina Chernivsky, Psychologin und Verhaltenswissenschaftlerin, ist Gründungsgeschäftsführerin der Beratungsstelle OFEK e.V. und Leiterin des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment der ZWST
Prof. Dr. Friederike Lorenz-Sinai, Erziehungswissenschaftlerin und Sozialarbeiterin, ist Professorin für Methoden der Sozialen Arbeit und Sozialarbeitsforschung am Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften der Fachhochschule Potsdam
Hier finden Sie den Waschzettel zum Buch (PDF-Infoblatt).
Die Zielgruppe:
Forschende und Lehrende der Erziehungswissenschaft
L.A. Minev –
Die Aufsatzsammlung schafft es, den aktuellen Stand der relevanten Diskurse zum Thema Antisemitismus, Umgang mit der Shoah und deren Einfluss auf Bildung und Erziehung zu dokumentieren. Und einen Schritt weiter zu gehen, Fragen zu formulieren, die gesellschaftlich und politisch längst dringend geworden sind. (Zum Beispiel nach der deutschen Erinnerungskultur, den innerjüdischen Diskursen, der postmigrantischen Gesellschaft, usw.) Die Autor*innen formulieren aus unterschiedlichen Disziplinen heraus ihre Analysen der aktuellen und geschichtlichen Kontexte, die gleichermaßen auf Lücken in den (Bildungs-) Wissenschaften, aber auch in den biografischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit Antisemitismus und Shoah hinweisen.
Einzelne Aufsätze führen gut verständlich in das Thema des transgenerationalen Traumas und dessen Wirkung ein, was durch die Ergebnisse der empirischen Forschung veranschaulicht wird. Andere setzen bereits vorhandenes theoretisches Wissen und Fachvokabular voraus, was die Lektüre sehr intensiv macht. Aber damit wird auch das sich in den Aufsätzen wiederholende Problem bestätigt: Durch die lückenhafte Aufarbeitung der NS-Zeit und deren Verdrängung in familiären, schulischen, universitären Kontexten gibt es einen hohen Nachholbedarf an Reflexion und Forschung.
Vivian Buchholz –
Der Sammelband fragt, wie sich familienbiografische und gesellschaftliche Narrationen auf die Vermittlung der Shoah in der institutionellen Bildung und Erziehung auswirken.
Die Autor:innen bieten eine leicht verständliche Einführung in Begriffe wie Trauma, Transgenerationalität, Postmemory und Gefühlserbschaften und beziehen diese auf die Nachkommen der Täter:innen sowie Verfolgten.
Ausgehend von der mangelnden wissenschaftlichen Aufarbeitung der Shoah nach 1945 werden das kontrafaktische deutsche Opfernarrativ sowie sekundärer Antisemitismus und eine rassistische Externalisierung des kontemporären Antisemitismus analysiert und damit verschiedene Ebenen der deutschen Schuldabwehr kritisiert.
Der Band leistet einen wichtigen Beitrag zur begrifflichen Präzision in der Shoah Education, auch bezüglich der Funktionsweise des Antisemitismus und der Singularität der Shoah. So hebt er sich positiv von einem Kultur- und Werterelativismus in der Wissenschaft ab, welcher die Shoah im derzeitigen Diskurs zu relativieren droht.
In der Tradition der Kritischen Theorie sowie mit Hilfe psychoanalytischer Zugänge zu Antisemitismus und generationaler Ordnung wird analysiert, wie die Sozialisation von Pädagog:innen deren erzieherisches Handeln prägt. Die gesellschaftsanalytische Einbettung der Fallstudien ist als Kritik am positivistischen Mainstream in der Erforschung und pädagogischen Vermittlung der Shoah zu verstehen.
So unterstützt das Buch eine professionelle Selbstreflexion in Schulen, Gedenkstätten oder Universitäten. Zentrale Gegenwartsaufgaben seien unter anderem, jüdisches Leben in der Auseinandersetzung mit der Shoah nicht länger zu vernachlässigen sowie die individualpsychologische, biografische und gesellschaftliche Dimension der Verantwortungsübernahme zu verbinden.
Insbesondere in Studienmodulen zur Erziehung und Bildung in der postmigrantischen und postnationalsozialistischen Gesellschaft, sowie für die Traumapädagogik ist der Band von Bedeutung. Der politischen Bildung, Lehrer:innenbildung und Sozialpädagogik sowie Beratungskontexten kann er eine Bereicherung sein. Für die Geschlechterforschung ist die Analyse gemeinsamer Ursachen sowie Aufarbeitungsmuster von Shoah und sexueller Gewalt von Interesse.
Indem die Artikel einen umfassenden Überblick über den Forschungsstand geben und zahlreiche Forschungsdesiderate benennen, bietet das Buch Anreize für die Themenfindung von Abschlussarbeiten und postgraduierten Forschungsprojekten.