Beschreibung
Welche Probleme ergeben sich bei der Aufarbeitung von Geschichte nach 1989? Welche Themen sind nach wie vor Streitthemen in der Öffentlichkeit europäischer Gesellschaften? Forderungen nach Einlösung historischer Gerechtigkeit vermischen sich hier mit Elitendebatten über die kommunistischen Regime. Die Spannbreite der Themen reicht von der Aufarbeitung der kommunistischen Regimegeschichte, von „Übergangs-Gerechtigkeit“ bis zu Problemen des Elitenkampfs über die Deutungshoheit im politischen Leben. Der regionale Schwerpunkt des Buches liegt auf Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn.
Im Mittelpunkt der vergleichenden Betrachtungen stehen politische Kampagnen und Strategien der Geschichtspolitik „von oben“, die nach 1989 von neuen Eliten in Ostmitteleuropa gewählt werden. Grundlage des Buchs ist die Inhaltsanalyse von schriftlichen Dokumenten und ausgewählten Printmedien, die für die Vergangenheitspolitik zwischen 1989 und 2015 zentrale Ansatzpunkte bieten.
Bis in die Gegenwart ist es eine offene Frage, ob neue Gesetze zur Aktenöffnung und „Durchleuchtung“ einen legalen Rahmen zur Herstellung von Gerechtigkeit bieten. Die Auseinandersetzungen über die kommunistische Vergangenheit sind durch Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet, die in ähnlicher Weise in allen ostmitteleuropäischen Gesellschaften zutage treten. Einerseits handelt es sich um Kontroversen zur Geltung von Rechtsnormen, andererseits um politische Mobilisierungskampagnen. Im Kampf um Anhänger konkurrieren neue Eliten um die Deutungshoheit über Geschichte. Dabei spielen negative historische Stereotype ebenso eine Rolle wie Slogans, die an das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung appellieren.
An dieser Stelle setzen die zentralen Fragen der vergleichenden Untersuchung an, die in ausgewählten europäischen Gesellschaften durchgeführt worden ist (Deutschland, Polen, Tschechische Republik und Ungarn): 1. Was meint „Übergangsgerechtigkeit“? Welche Logik liegt den Deutungsmustern vergeltender und ausgleichender Gerechtigkeit zugrunde? 2. Welche Auswirkungen hat der Streit über die Geschichte des Kommunismus auf die Rechtskultur der neuen Demokratien?
Der Autor:
Dr. phil. habil. Helmut Fehr,
Leiter der Professur für Europäische Regionalforschung, Andrássy Universität Budapest
Hier finden Sie den Waschzettel zum Buch (pdf- Infoblatt).
Keywords: Vergangenheitspolitik, Aufarbeitung der kommunistischen Regimegeschichte, Elitenkonflikte in nachkommunistischen Gesellschaften
A. Schmidt –
Helmut Fehr untersucht in seiner empirischen Studie vergleichend nationale Elitendiskurse zur Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Polen, Tschechien, Ungarn und (Ost-)Deutschland nach 1989. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, welcher Gerechtigkeitsbegriff in diesen Diskursen dominiert. Nach einem Einführungskapitel zu dessen historischen Varianten widmet sich der Autor in den darauffolgenden Kapiteln zunächst der Darstellung der Debatten in den einzelnen Ländern, um anschließend Gemeinsamkeiten und– durchaus– nationale Unterschiede im Umgang mit der eigenen jüngsten Geschichte herauszuarbeiten.
Das Buch richtet sich vor allem an Studierende, die bereits über fundiertes Wissen im Bereich der neuesten Geschichte Osteuropas oder einzelner Länder der Region verfügen; es leistet einen Beitrag zum Verständnis eines konkreten Aspekts innerhalb dieses Themenkomplexes. Es ist daher weniger geeignet für diejenigen, die nach Einführungs- bzw. Überblickslektüre in die neueste Geschichte der Region bzw. der behandelten Länder suchen.
Der Schwerpunkt der Analyse liegt eindeutig auf der Auswertung des empirischen Materials und einem Vergleich der nationalen Teilergebnisse der Analyse. Etwas zu kurz gekommen ist dabei das Einführungskapitel zum Begriff der Gerechtigkeit sowie eine detailliertere Darstellung der einzelnen Teileliten und deren Verhältnis. Mitunter erscheint auch die Auswahl des Datenmaterials etwas willkürlich–etwa wenn es um einzelne VertreterInnen der „Intelligenz“ geht (Kapitel 7). Sie sollten daher auch eher als Fallstudien denn als verallgemeinerbare Ergebnisse gelesen werden.
B. Güclü –
Das Buch „Vergeltende Gerechtigkeit – Populismus und Vergangenheispolitik nach 1989“ von Helmut Fehr richtet sich vor allem, wie mein Vorredner schon schreibt, an Studierende, die bereits über Wissen im Bereich der neuesten Geschichte Osteuropas (oder einzelne Länder der Region) verfügen. Also leider eher weniger geeignet für diejenigen, die nach Einführungs-bzw. Überblickslektüre in die neueste Geschichte der Region suchen.
Fehr beginnt mit der Begriffsdefinition „Gerechtigkeit und „Unrechtsgeschichte“: was verstehen wir unter vergeltender Gerechtigkeit, was unter ausgleichender Gerechtigkeit? Vor allem Kapitel 8 finde ich persönlich besonders interessant. Im achten Kapitel „Feindbilder und historisches Erinnern“ -wird nämlich erläutert, wozu Feindbilder dienen – vor allem dann im Zusammenhang mit den dort beschriebenen Ländern.