Inhalt
PERIPHERIE – Politik • Ökonomie • Kultur
2-2021 (Heft 162-163): Finanzialisierung und Entwicklungspolitik
Christa Wichterich / Conrad Schetter: Elke Grawert (1959-2021)
Editorial
Schwerpunkt
Anil Shah: Kann die Subalterne zahlen? Die kolonialen Wurzeln der Finanzialisierung sozialer Reproduktion in Indien
Juvaria Jafri: Schattenbanken und der Ausbau eines inklusiven Finanzwesens im globalen Süden
Paula Haufe: Warum das Mikrofinanzwesen trotz eminenter Kritik fortbestehen kann. Eine diskursanalytische Erklärung anhand der Analyse von Subjektpositionen von Entwicklungsfinanziers in Indien
Frauke Banse: Der „globale Pool privaten Geldes“ in Afrika Anleihemärkte in lokaler Währung und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
Carsten Elsner / Franziska Müller / Manuel Neumann / Simone Claar: Finanzialisierung und „de-risking“ in Sambias Energiewende: Perspektiven für nachhaltige Entwicklung?
Frauke Banse / Anil Shah: Die Geopolitik von Finanzialisierung und Entwicklungspolitik. Interview mit Ilias Alami
PERIPHERIE-Stichwort
Daniela Gabor: Wall-Street-Konsens
Jenny Simon: Verbriefung
Weitere Artikel
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Reinhart Kößler: Normalisierung – eine reaktionäre Chimäre. Aktuelle entwicklungstheoretische Anmerkungen (Kommentar)
Rezensionen
Meike Strehl: Juan Telleria: Deconstructing Human Development. From the Washington Consensus to the 2030 Agenda
Theo Mutter: Maristella Svampa: Die Grenzen der Rohstoffausbeutung – Umweltkonflikte und Ökoterritoriale Wende in Lateinamerika
Daniel Bendix: Ilan Kapoor: Confronting Desire: Psychoanalysis and International Development
Reinhart Kößler: Sammelrezension: Carola Book, Nikolai Huke, Norma Tiedemann & Olaf Tietje (Hg.): Autoritärer Populismus / Roger Griffin: Faschismus. Eine Einführung in die vergleichende Faschismusforschung
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Reinhart Kößler: Christoph Marx: Trennung und Angst. Hendrik Verwoerd und die Gedankenwelt der Apartheid
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Chigemezi Nnadozie Wogu: Emmanuel Kwesi Anim: Who Wants to be a Millionaire? An Analysis of Prosperity Teaching in the Charismatic Ministries (Churches) in Ghana and its Wider Impact
Reinhart Kößler: Christopher Hope: Developmentalism, Dependency, and the State. Industrial Development and Economic Change in Namibia since 1900
Jasper Finkeldey: James Goodman, Linda Connor, Deveena Ghosh, Kanchi Kohli, Jonathan Paul Marshall, Manju Menon, Katja Müller, Tom Morton, Rebecca Pearse & Stuart Rosewarne: Beyond the Coal Rush. A Turning Point for Global Energy and Climate Policy
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Abstracts
Kann die Subalterne zahlen? Die kolonialen Wurzeln der Finanzialisierung sozialer Reproduktion in Indien (Anil Shah)
Unter dem Begriff der finanziellen Inklusion hat sich im vergangenen Jahrzehnt ein internationales Entwicklungsprojekt der Armutsbekämpfung herausgebildet, das darauf abzielt, Menschen ohne Bankkonto (unbanked) über Kredite und andere Finanzdienstleistungen in das globale Finanzsystem zu integrieren. Aus politökonomischer Perspektive wird die Rhetorik der finanziellen Inklusion unter anderem dafür kritisiert, dass sie die Finanzialisierung sozialer Reproduktion verschleiert, in der (a) die unbanked zu einem neuen Marktsegment für internationale Kapitalmärkte werden und (b) Haushalte mit geringen und unsicheren Einkommen ihre prekarisierten Lebensverhältnisse zunehmend durch Verschuldung organisieren müssen. Der Beitrag knüpft an diese Kritik an der neoliberalen Entwicklungspolitik an und erweitert sie um eine materialistisch-postkoloniale Reflexion, die die historische Verwobenheit von Verschuldung subalterner Klassen, Kolonialherrschaft und kapitalistische Entwicklung am Beispiel Indiens untersucht. Er zeigt, dass die finanzielle Inklusion/Exklusion ab dem 19. Jahrhundert Resultat einer strukturellen Subsistenzkrise war, welche sowohl durch die britische Kolonialherrschaft als auch durch kapitalistische (Klassen-)Verhältnisse entscheidend geprägt wurde. Schlagwörter: finanzielle Inklusion, Finanzialisierung sozialer Reproduktion, Geldverleiher, Kolonialgeschichte, Subalterne
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Schattenbanken und der Ausbau eines inklusiven Finanzwesens im globalen Süden (Juvaria Jafri)
Finanzielle Inklusion ist eine Strategie zur Armutsbekämpfung, aber gleichzeitig ist es auch ein Symptom für zwei strukturelle Merkmale des globalen Finanzsystems: inländische Kreditbeschränkungen und Nachfrage von institutionellen Anlegern nach Rendite. Diese Merkmale wirken ungleich auf verschiedene geografische Räume und führen zur Notwendigkeit eines inklusiven Finanzwesens. Die Kreditschöpfung ist in Entwicklungsländern aufgrund des Inflationsdrucks, der sich aus der internationalen Währungshierarchie ergibt, eingeschränkt. Die Nachfrage nach Rendite ist eng mit der asymmetrischen Macht der wohlhabenden Länder zur Geld- und Kreditschöpfung verbunden. Der empirische Fall des inklusiven pakistanischen Finanzsektors, der sich zunehmend auf internationale Finanzströme stützt, zeigt auf, dass er ein Produkt von Hierarchien ist, die inländische Kreditbeschränkungen im Globalen Süden schaffen und Kapital aus dem Globalen Norden anziehen. Dies spiegelt sich in den Verbindungen zwischen finanzieller Inklusion und Schattenbankennetzwerken und -praktiken wider. Das Hauptargument dieses Beitrags ist, dass die Transformationen im pakistanischen Bankensektor – angetrieben durch die Notwendigkeit des Zugangs zu Finanzmitteln – durch inländische Kreditbeschränkungen und internationale Liquiditätsüberschüsse geprägt sind. Damit leistet der Artikel einen Beitrag zu zwei Strängen der heterodoxen ökonomischen Forschung: (1) der räumlichen Organisation von Geld- und Finanzflüssen und (2) der globalen Ungleichheit beim Zugang zu Finanzmitteln. Schlagwörter: inklusives Finanzwesen, Finanzialisierung, Pakistan, Schattenbanken, Kreditbeschränkungen
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Warum das Mikrofinanzwesen trotz eminenter Kritik fortbestehen kann. Eine diskursanalytische Erklärung anhand der Analyse von Subjektpositionen von Entwicklungsfinanziers in Indien (Paula Haufe)
Warum bleibt das Mikrofinanzwesen in nationaler und internationaler Entwicklungspolitik so populär und wächst – trotz eminenter Kritik und empirischer Studien, die zeigen, dass Mikrofinanzen kaum zur Verbesserung der Lebensstandards der Betroffenen führen? Der Beitrag untersucht in dem kontroversen Feld die Subjektposition von Banker*innen und Investor*innen in internationalen Organisationen der öffentlichen und privaten Entwicklungsfinanzierung, die dem indischen Mikrofinanzwesen Geld zur Verfügung stellen. Vor dem Hintergrund der Kritik fragt er, was die Subjektpositionen der Bankiers und Investor*innen stabilisiert, die eigene professionelle Rolle gegen die Kritik abschirmt und so Fortführung und Vertiefung des Mikrofinanzwesens ermöglicht. Bei der Untersuchung werden vier Säulen deutlich, die zur Stabilität der Subjektposition beitragen. Diese umfassen 1) diskursive Strategien, die das Mikrofinanzwesen gegen mögliche Kritik und Probleme verteidigen, 2) das Selbstverständnis, Veränderungen zu gestalten, 3) die Konstruktion anderer relevanter Akteur*innen als ergänzend und konträr zur eigenen Rolle und 4) die Positionierung von sich und dem Mikrofinanzwesens in einer unsicheren Welt. Schlagwörter: Mikrofinanzwesen in Indien, Andhra-Pradesh-Mikrofinanzkrise, Finanzialisierung, Neoliberale Entwicklung, Diskursanalyse
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Der “globale Pool privaten Geldes” in Afrika. Anleihemärkte in lokaler Währung und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (Frauke Banse)
Der Artikel widmet sich den aufkommenden afrikanischen Anleihemärkten in Lokalwährung. Dabei wird zunächst herausgearbeitet, weshalb diese Anleihemärkte ein zentrales Element für das allgemeine Vorhaben der Vertiefung peripherer Finanzmärkte und damit wichtiger Baustein jeder weiteren marktbasierten Entwicklungsfinanzierung sind. Im Zuge dessen diskutiert der Text auch die politischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen dieser Anleihemärkte. Darauf aufbauend widmet er sich der im Vergleich zu anderen einzelstaatlichen Akteuren herausragenden Rolle deutscher Institutionen bei der Etablierung dieser Anleihemärkte in Afrika und fragt nach den dahinterliegenden Interessenlagen. Der Artikel diskutiert die These, dass deutsche Kapitalfraktionen ein Interesse an vertieften peripheren Finanzmärkten haben, um eigenes Überschusskapital zu verwerten und neue Märkte zu erschließen. Schlagwörter: Anleihemärkte in Lokalwährungen, Finanzialisierung, deutsche Entwicklungszusammenarbeit, Afrika, Überschusskapital, Marktzugang
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Finanzialisierung und „De-Risking“ in Sambias Energiewende: Perspektiven für nachhaltige Entwicklung? (Carsten Elsner, Franziska Müller, Manuel Neumann, Simone Claar)
„Nachhaltige Investitionen“, „Grüne Fonds“, „Grüne Anleihen“ und „De-Risking-Strategien“: mit den ambitionierten Zielen der „Sustainable Development Goals“ (SDGs) bringen fundamentale Veränderungen der Strukturen in der Entwicklungsfinanzierung mit sich, die sich mit den Begriffen der Finanzialisierung und Risikominderung (de-risking) gut beschreiben lassen. Die Finanzierung erneuerbarer Energieprojekte gibt Aufschluss über diese Prozesse und zeigt, welche neuen Abhängigkeiten und veränderten Machtstrukturen mit der wachsenden Bedeutung privater Finanzierung und öffentlich-privater Partnerschaften in der Entwicklungsfinanzierung und speziell am Energie-/Entwicklungs-Nexus einhergehen. Dieser Beitrag widmet sich den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Finanzierung von erneuerbaren Energien am Beispiel der sambischen Energiewende. Hierbei wird die Durchführung zweier transnational orchestrierter Projekte für erneuerbare Energie (Scaling Solar und GETFiT) vor dem theoretischen Hintergrund von Finanzialisierung, insbesondere der sogenannten subordinate financialisation – einer untergeordneten Finanzialisierung – sowie von postkolonialer Staatlichkeit beleuchtet. Der Beitrag verdeutlicht einerseits, wie die schnelle Finanzierung und Durchführung solcher Projekte mit einer marktbasierten Risikominderungsstrategie unter Beteiligung internationaler Institutionen und Investoren gelingen kann. Auf der anderen Seite führt dieser Prozess jedoch auch zur Marginalisierung sambischer Unternehmen und erschwert somit einen möglichen Industrialisierungsprozess und die damit verbundene Schaffung von Arbeitsplätzen. Hinzu kommt eine verstärkte Abhängigkeit Sambias von internationalen Investoren, die die politische Handlungsfähigkeit massiv einschränken. Schlagwörter: SDG, Sambia, Energiewende, subordinate financialisation, de-risking, postkoloniale Staatlichkeit
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