Beschreibung
Der Klimawandel zählt zu den größten sozialen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Er wirft zwingend Fragen nach Menschenrechten, Postkolonialismus, Gender, Gesundheit und Gerechtigkeit auf und berührt damit Kernthemen der Sozialen Arbeit. Die überarbeitete Auflage liefert anhand des neu entstandenen Klima- und Nachhaltigkeitsdiskurses der Sozialen Arbeit eine erweiterte Einführung zur Thematik. Es wird deutlich, dass die Soziale Arbeit eigene Antworten auf den Klimawandel geben kann.
Der Klimawandel kommt zunehmend in der Sozialen Arbeit an. Extreme Wetter- und Klimaereignisse wie Hitzewellen oder Starkregen treffen die Adressat*innen, Fachkräfte und Einrichtungen der Sozialen Arbeit. Die großen Wohlfahrtsverbände haben sich ambitionierte Klimaziele gesetzt und Projekte initiiert, um Klimagerechtigkeit und Klimaanpassung voranzubringen. Im sozialarbeitswissenschaftlichen Diskurs steht unter anderem die Frage im Vordergrund, wie die Adressat*innen Sozialer Arbeit an der Ausgestaltung einer klimagerechteren Gesellschaft partizipieren können. Dieses Buch liefert eine aktualisierte Bestandsaufnahme zu den Verbindungen von Sozialer Arbeit und Klimawandel. Es wird dargelegt, wie ein professionelles Selbstverständnis der Sozialen Arbeit im Hinblick auf den Klimawandel aussehen kann. Ebenso werden die klimawissenschaftlichen Grundlagen erörtert (z.B. die Berichte des IPCC, die Klimaänderungen und die Emissionspfade bis 2100). Darauf aufbauend werden neun Themenbereiche diskutiert, in denen sich die Soziale Arbeit und der Klimawandel berühren: Klimaklassismus, Postkolonialismus, Klimarassismus, Klimamigration und Klimaflucht, Gewaltkonflikte, Gesundheit, Menschenrechte, Geschlechter- und Generationenfragen. Anschließend steht im Mittelpunkt, welche gesellschaftspolitischen und pädagogischen Handlungsspielräume die Soziale Arbeit nutzen kann, um zu Klimagerechtigkeit beizutragen. Es geht um die Ausgestaltung einer Postwachstumsökonomie, das Austragen von Klimawandelkonflikten und die Bildungspotenziale von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) und Erlebnispädagogik. Studierende, Lehrende und Fachkräfte erfahren in diesem Buch, inwiefern der Klimawandel ein sozialarbeiterisches Thema ist.
Der Autor:
Yannick Liedholz, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Klimagerechtigkeit, Nachhaltigkeit und BNE, Alice Salomon Hochschule Berlin
Der Fachbereich:
Social Work
Prof. Dr. Ralph Kirscht –
Yannick Liedholz ist sicherlich eine ebenso wichtige wie gewichtige Stimme in der seit ein paar Jahren an Intensität und auch publizistischem Output zunehmenden wissenschaftlich-theoretischen und praktisch-methodischen Auseinandersetzung im deutschsprachigen Raum über die Frage, was der Klimawandel oder besser inzwischen die Klimakatastrophe, auf die sich die Menschheit augenscheinlich unausweichlich zuzubewegen scheint, mit Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit zu tun hat. Die Antwort von Yannick Liedholz ist klar: die Berührungspunkte sind so vielfältig wie komplex. Im englischsprachigen Raum ist man sich dieser Tatsache schon sehr viel länger bewusst und seit über zwei Jahrzehnten ist eine Vielzahl an wichtigen Publikationen erschienen (vgl. Ingo Stamm, Ökologisch-kritische Soziale Arbeit 2021).
Das Buch von Yannick Liedholz, das 2021 in erster Auflage erschien, war mir seit seinem ersten Erscheinen ein wichtiger Begleiter in meinen eigenen Forschungen zum Thema, ebenso wie als gemeinsame Lektüre mit meinen Studierenden in den Studiengängen der Sozialen Arbeit.
Das Buch ist logisch aufgebaut und klar strukturiert. Die Sprache so verständlich und gut, dass man sehr gut mit ihm auch mit Menschen arbeiten kann, die vielleicht nicht ganz so vertraut mit akademischen Texten sind. Nach einer kurzen Einleitung gibt der Autor kurze historische Einblicke in die eng an die Industrialisierung gekoppelte Entstehung der Sozialen Arbeit. Dabei hat sie es damals wie heute mit der „Kehrseite der Prosperität“ (Liedholz 2025, 12) zu tun. Von diesem historischen Entstehungsort der Sozialen Arbeit aus schlägt Liedholz eine Brücke über die Internationale Definition des IFSW (2014), die zumindest in dem dazugehörenden Kommentar ein paar mögliche ökologische Anknüpfungspunkte zeigt, hin zu dem sog. „Tripelmandat“ von Silvia Staub-Bernasconi als „eine bedeutende Voraussetzung dafür“, dass aus dem oft genug an ihrem eigentlichen Wesen als Anwältin derer auf der „Kehrseite der Prosperität“ widersprechenden obrigkeitlichen Weisungen gebundenen Beruf Soziale Arbeit eine „Menschenrechtsprofession“ werden kann. Eine Profession, die sich selbst ein Mandat auf der Basis von Menschenrechten, Ethik und eigenem (wissenschaftlich fundiertem) Professionsverständnis geben kann. Und diese Selbstmandatierung kann dann auch über das Soziale („soziale Probleme“) als ihrem historisch bedingtem eigentlichen „Gegenstand“ (Ulrich Wendt, Lehrbuch Soziale Arbeit 2021, S. 31) hinausgehen und das Ökologische mit in das eigene Professionsverständnis aufnehmen und ihrerseits eine sozial-ökologische Transformation durchlaufen. Am Ende seines zweiten Kapitels beschreibt Liedholz „ausgewählte Arbeits- und Forschungsfelder“ der Sozialen Arbeit, die ihm im Hauptteil des Buches (Kapitel 4) als „Richtschnur“ für seine Beschreibung der „Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel“ dienen (Liedholz 2025, 49). Nachdem er zuvor wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse und Informationen zum Klimawandel (Kapitel 3) beschrieben hat, benennt er nun im Zentrum seines Buches eben jene „Berührungspunkte“. Es handelt sich um insgesamt neun Themenbereiche, u.a. „Verschärfung der Ungleichheiten in den (Über-)Lebenschancen“, „Klimamigration und Klimaflucht“, „Gesundheitliche Folgen“, „Menschenrechtsverletzungen“ und „Generationenfragen“. Dabei ist seine grundlegende These, dass, wenn „man den Klimawandel als ein soziales Phänomen“ versteht, es nur „ein(es) Katzensprung(s)“ bedarf, „um in ihm einen Gegenstand der Sozialen Arbeit zu erkennen“ (Liedholz 2025, 49). Dieser Katzensprung wird von Liedholz plausibel, kenntnisreich und wissenschaftlich überzeugend in diesem Hauptteil seines Buches dargelegt. Es sei im Rahmen dieser kurzen Rezension nur ein Beispielzitat aus dem neunten Themenbereich („Generationenfragen“) angeführt: „Nimmt die Soziale Arbeit den Faden einer ´geklauten`Zukunft und den diagnostizierten ´radikalen Zukunftsverlust`(…) auf, dann ergibt sich für sie ein umfänglicher Handlungsbedarf. Die Soziale Arbeit müsste Lern-, Dialog- und Reflexionsorte für Menschen aus verschiedenen Generationen schaffen, um Zukunft wieder gemeinsam denkbar zu machen“ (Liedholz 2025, 96). Wie u. a. solche Orte in der konkreten Praxis der Sozialen Arbeit aussehen könnten und welche „Handlungsspielräume von Akteur:innen der Sozialen Arbeit“ es geben könnte, lotet der Autor im fünften und letzten Kapitel seines Buches aus. Zunächst stellt er einige „Gesellschaftspolitische Handlungsspielräume“ dar, in denen sich die Soziale Arbeit statt nicht mehr als eine vielfach in der Vergangenheit eher unpolitische und bestehende gesellschaftliche Verhältnisse eher stabilisierenden Akteurin zeigt, sondern sich hin zu einer streitbaren und lauten politischen Stimme entwickelt, die z.B. gemeinsam mit internationalen Akteur:innen Klimagerechtigkeit einfordert und national umsetzt; die sich für eine alternative „Postwachstumsökonomie“ stark macht und diese z.B. in den eigenen Einrichtungen und Verbänden versucht vorzuleben; die sich nicht scheut, „Klimawandelkonflikte“ auszutragen, wozu auch unterschiedliche und z.T. nicht unumstrittene Protestformen gehören und die schließlich auch „Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel“ in den Blick nimmt und tatkräftig unterstützt. Im zweiten Teil dieser praktischen Umsetzungen beschreibt Liedholz mögliche „Pädagogische Handlungsspielräume“ am Beispiel der „Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)“ und einer „Ökologisch orientierte(n) Erlebnispädagogik“. Erstere wird von ihm kritisch erweitert hin zu einer stärkeren Politisierung und ökologischen Schärfung. Die Ausführungen zu Letzterer zeigen, wie die in der Sozialen Arbeit weit verbreitete Methode der Erlebnispädagogik so ökologisch erweitert werden kann, dass zum einen konkrete und leibhaftige Erfahrungen im Umgang mit der Natur und auch den Bedrohungsszenarien möglich werden, zum anderen auch hier wieder eine stärkere Politisierung und Aufnahme kritischer Diskurse stattfinden kann, z.B. in der Genderfrage und feministischen Diskursen zum Umgang mit der Natur. In Kapitel 5.3 „Weiterführende(n) Gedanken“ stellt Liedholz gegenüber der ersten Auflage ein neu hinzugekommenes Übersichtsmodell vor, das die gesellschaftspolitischen und pädagogischen Handlungsspielräume sehr gut und anschaulich zusammenfasst. Es handelt sich hierbei um „vier Wirkungsebenen“ (das Professionsverständnis der Fachkraft, die Ebene der Arbeitsbeziehungen mit den Adressat:innen, die Ebene der Einrichtungen und Träger und die Ebene der Stadt- und Kommunalpolitik), die Sozialarbeiter:innen nutzen können, um daran mitzuarbeiten, der bestehenden Sozialen Arbeit ein klares ökologischen Mandat und Profil zu geben und an einer Weiterentwicklung hin zu einer Öko-Sozialen Profession und Disziplin (so meine eigene Terminologie, vgl. Ralph Kirscht, Soziale Arbeit als spirituelle und öko-soziale Profession, 2022) mitzuwirken.
Fazit: Das Buch von Yannick Liedholz zu den Berührungspunkten von Sozialer Arbeit und Klimawandel in seiner um wichtige Inhalte erweiterten zweiten Auflage ist eine fachlich-wissenschaftlich sehr fundierte und gute Lektüre für alle, die sich zum einen darüber informieren wollen, wo diese Berührungspunkte tatsächlich liegen, als auch Inspiration suchen, wie sie an der „größte(n) soziale(n), ökologische(n) und ökonomische(n) Herausforderung der Moderne“ (Liedholz 2025, 169) mitarbeiten können.
Köln, den 02.12.2024
Prof. Dr. Ralph Kirscht
Professor im Department Social Sciences
School of Health, Education and Social Sciences
SRH University of Applied Sciences Heidelberg
Studienort Köln
Am Grauen Stein 27
51105 Köln
Mail: ralph.kirscht@srh.de