Inhalt
ZQF – Zeitschrift für Qualitative Forschung
2-2019: Normativität in der Qualitativen Forschung
hrsg. von: Lisa Janotta & Jürgen Raab
Schwerpunkt
Lisa Janotta / Jürgen Raab: Normativität in der qualitativen Forschung. Editorial
Rainer Diaz-Bone / Kenneth Horvath: Konventionen, epistemische Werte und Kritik. Neopragmatische Perspektiven auf Sozialforschung
Christian Herfter / Karla Spendrin / Franziska Heinze / Johanna Leicht / Emi Kinoshita: Sehen, was sein soll? Zur normativen Valenz allgemeindidaktischer Theorien für die qualitative Unterrichtsforschung
Rahel Hünig / Marion Pollmanns / Sascha Kabel: Zur Kritik „normativ abstinenter“ Unterrichtsforschung. Eine schulpädagogisch-rekonstruktive Positionierung zum Problem der Erforschung schulischer Vermittlungsprozesse
Melanie Kubandt: Normativität in der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Zum Potenzial rekonstruktiver Forschungszugänge zu Geschlecht im elementarpädagogischen Feld
Debatte
Jochem Kotthaus: Der Exorzismus der „Gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“. Über den Versuch, der Wissenssoziologie die Mundanphänomenologie auszutreiben
Freier Teil
Denise Klinge / Franz Krämer / Moritz Petzi: Gesundheitspädagogik im Medium visualisierter Messungen. Eine rekonstruktive Studie von Messpraktiken in der betrieblichen Gesundheitsförderung
Angela Benner / Julian Löhe: Die informierte Einwilligung auf Tonband: Analyse im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie mit älteren Menschen aus forschungsethischer und rechtlicher Perspektive
Rezensionen
Monika Wagner-Willi: Maud Hietzge (Hrsg.): Interdisziplinäre Videoanalyse. Rekonstruktionen einer Videosequenz aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Reihe: Sozialwissenschaftliche Ikonologie: Qualitative Bild- und Videointerpretation, Band 2. Opladen u.a.: Barbara Budrich 2018, 284 S., ISBN 978-3-8474-0058-5. 33 €
Benjamin Wagener: Moritz, Christine, Corsten, Michael (Hrsg.): Handbuch Qualitative Videoanalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2018, 817 S. 978-3-658-15893-4, 99,99 €
René Wilke: Ralf Bohnsack/Bettina Fritzsche/Monika Wagner-Willi (Hrsg.): Dokumentarische Video- und Filminterpretation. Methodologie und Forschungspraxis. 2., durchgesehene Auflage. Opladen/Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich 2015, 498 S. 978-3-8474-0683-9
Achim Brosziewski: René Tuma: Videoprofis im Alltag. Die kommunikative Vielfalt der Videoanalyse. Wiesbaden: Springer 2017, 324 S., ISBN 978-3-658-15165-2, 49,99 €.
Marius Meinhof: Wie entstehen ethnographische Daten?
Joachim Renn: Explizierte Performanz Ralf Bohnsacks praxeologische Wissenssoziologie. Ralf Bohnsack: Praxeologische Wissenssoziologie. Opladen/Toronto: Barbra Budrich/utb 2017, 367 S., ISBN 978-3-8252-8708-5, 24,99 €.
Marc Torka: Should I stay or should I go? Neuere Studien zu Karriereentwürfen des wissenschaftlichen Nachwuchses
Hildegard Matthies: Birgit Bütow/Lena Eckert/Franziska Teichmann: Fachkulturen als Ordnungen der Geschlechter. Praxeologische Analysen von Doing Gender in der akademischen Lehre. Opladen/Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich, 2016, 218 S., 978-3-8474-0080-6. 28,00 €.
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Leseproben
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Abstracts
Konventionen, epistemische Werte und Kritik. Neopragmatische Perspektiven auf Sozialforschung (Rainer Diaz-Bone, Kenneth Horvath)
Diskussionen um die Normativität von Sozialforschung gehen häufig von der Vorannahme aus, dass Werte und Fakten einander äußerlich sind. Auf Basis (neo-)pragmatischer Überlegungen schlägt dieser Beitrag demgegenüber die Unhintergehbarkeit von Werten in der sozialwissenschaftlichen Wissensproduktion als möglichen Ausgangspunkt einer Soziologie der Sozialforschung vor. Epistemische Werte erlauben Koordination und Bewertung im Forschungsprozess. Diese Werte sind keine Frage subjektiver Vorlieben, sondern „objektiv“. Sie müssen sich im sozialen Vollzug der Forschung zur Bewältigung ungewisser Situationen bewähren und sind als historisch geformte Handlungsressourcen intersubjektiv verfügbar und kritisierbar. Die Frage nach den Werten, die Forschungsprozessen ihre Form geben, wäre damit empirisch (nicht „normativ“) zu beantworten. Diese wissenschaftsimmanenten Werte sind nicht von umfassenderen oder tiefer liegenden normativen Ordnungen zu trennen, die im Rahmen der Soziologie der Konventionen als Konventionen bezeichnet werden. Im französischen Neopragmatismus sind die sogenannten Konventionen als alltagspraktische Ressource für die Kritik und Legitimierung untersucht worden. Die Diskussion epistemischer Werte führt daher zwangsläufig zur Frage der Kritik, die ihrerseits nicht mit Bezug auf eine transzendente Wahrheit, sondern nur konkret und „realistisch“ beantwortet werden kann. Schlagwörter: Pragmatismus, Neopragmatismus, epistemische Werte, Soziologie der Konventionen, Soziologie der Sozialforschung, reflexive Sozialforschung
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Sehen, was sein soll? Zur normativen Valenz allgemeindidaktischer Theorien für die qualitative Unterrichtsforschung (Christian Herfter, Karla Spendrin, Franziska Heinze, Johanna Leicht, Emi Kinoshita)
Die Frage nach Normativität wird in der qualitativen Forschung mit Blick auf die Gegenstandsangemessenheit von Theorie, Methodologie, Methode und Fragestellung thematisiert. In diesem Aufsatz überschreiten wir im Feld qualitativer Unterrichtsforschung diese Logik, indem wir am Beispiel zweier allgemeindidaktischer Theorien zusätzlich zu den beobachtungsleitenden Annahmen auch theorieinhärente Wertmaßstäbe auf deren Möglichkeiten und Begrenzungen für forschungspraktische Anschlüsse untersuchen. In der Darstellung dieser normativen Valenzen entlang exemplarischer Analysen liegt unser Hauptaugenmerk auf der Frage, wie die doppelte Normativität der Theorien unseren Blick auf die (Unterrichts-)Wirklichkeit lenkt. Schlagwörter: Normativität; methodologische Angemessenheit; wertbezogene Maßstäbe von Theorien; qualitative Unterrichtsforschung
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Zur Kritik „normativ abstinenter“ Unterrichtsforschung. Eine schulpädagogisch-rekonstruktive Positionierung zum Problem der Erforschung schulischer Vermittlungsprozesse (Rahel Hünig, Marion Pollmanns, Sascha Kabel)
Wie empirische Forschung der Normativität der untersuchten Wirklichkeit gerecht werden kann, wird hier am Beispiel qualitativer Unterrichtsforschung diskutiert. Wird die Kategorie Bildung methodologisch oder objekttheoretisch aus ihr verdrängt, kann sie sich nicht erfahrungswissenschaftlich auf unterrichtliche Praxis und ihre Normativität beziehen. Diese These wird auf Basis der Re-Analyse einer Unterrichtssequenz konkretisiert. Sodann wird skizziert, wie Unterricht erfahrungswissenschaftlich auch in seiner Normativität erschlossen werden kann. Schlagwörter: Unterrichtsforschung; Bildung; Didaktik; pädagogische Normativität; rekonstruktive Sozialforschung
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Normativität in der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Zum Potenzial rekonstruktiver Forschungszugänge zu Geschlecht im elementarpädagogischen Feld (Melanie Kubandt)
Vor dem Hintergrund einer rekonstruktiven Studie zu Geschlechterkonstruktionen in einer Kindertageseinrichtung werden verschiedene Ebenen von Normativität in der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung im Kontext der eigenen Forschungsvorannahmen zur Diskussion gestellt. Auf Basis der Ausführungen wird der Mehrwert einer deskriptiven, rekonstruktiven Forschungsperspektive auf Geschlecht hergeleitet. In diesem Zusammenhang wird die ethnomethodologische Indifferenz als Qualitätskriterium definiert und in Rekurs auf den empirischen Konstruktivismus proklamiert, vermehrt möglichst wertfreie Forschungsperspektiven auf Geschlecht im pädagogischen Feld einzunehmen. Schlagwörter: Rekonstruktive Geschlechterforschung; Ethnomethodologie; Normativität; Pädagogik
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Der Exorzismus der „Gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“. Über den Versuch, der Wissenssoziologie die Mundanphänomenologie auszutreiben (Jochem Kotthaus)
In der Debatte um Hubert Knoblauchs kommunikativen Konstruktivismus will dieser Beitrag die methodologischen und methodischen Konsequenzen einer „Umstellung“ der Wissenssoziologie auf „kommunikatives Handeln“ stärker explorieren. Grundsätzlich muss angenommen werden, dass sich der empirische Methodenkanon, wollte man Knoblauchs Überlegungen gerecht werden, stark ausdünnen würde. Schlagwörter: Hermeneutische Wissenssoziologie; subjektiver Sinn; kommunikativer Konstruktivismus; Methoden der Sozialforschung
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Gesundheitspädagogik im Medium visualisierter Messungen. Eine rekonstruktive Studie von Messpraktiken in der betrieblichen Gesundheitsförderung (Denise Klinge, Franz Krämer, Moritz Petzi)
Visualisierungen dienen innerhalb medizinischer Messungen als Medium der Vermittlung und Kontextualisierung von Messresultaten. Über das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM), das unter Gesundheitsförderung auch die Erzeugung von Gesundheitskompetenz subsumiert, haben solche Messungen und ihre Visualisierungen in Arbeitskontexte Einzug gehalten. Der These folgend, dass jene Visualisierungen kontextabhängig und interpretationsbedürftig sind, stellen wir die Frage, wie Messungen und Visualisierungen im BGM (pädagogisch) gerahmt werden, und wie die Akteure damit umgehen. Im Anschluss an betrieblich organisierte Herzratenvariabilitätsmessungen wurden drei MitarbeiterInnen und der durchführende Messexperte narrativ interviewt. Die Ergebnisse zeigen, dass die TeilnehmerInnen die Messung vor dem Hintergrund ihrer Gesundheitsorientierungen unterschiedlich erfahren: als Wettbewerb, als etwas Empörendes und der ärztlichen Vergewisserung Bedürftiges und als etwas, das Ohnmacht hervorruft. Zusammenfassend ließ sich zeigen, dass die Ambiguität von Messresultaten im Messprozess unzureichend thematisiert wurde, und dass die verwendeten Visualisierungen für die TeilnehmerInnen eine weit höhere Bedeutung besaßen als die mündlichen Kontextualisierungen des Messexperten. Ein Umstand, der vom Messexperten nicht berücksichtigt wurde, und der in Bezug auf Ergebnisvisualisierung messethische Reflexionen angeraten erscheinen lässt. Schlagwörter: Gesundheitspädagogik; Visualisierung; Dokumentarische Methode; Betriebliches Gesundheitsmanagement; medizinische Messung; Responsibilisierung; Erwachsenenbildung; Messethik; Konstruktion von Wissenschaftlichkeit
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Die informierte Einwilligung auf Tonband: Analyse im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie mit älteren Menschen aus forschungsethischer und rechtlicher Perspektive (Angela Benner, Julian Löhe)
Anhand einer qualitativen Interviewstudie mit älteren Menschen zum Thema Tod und Sterben sind forschungspraktische Herausforderungen im Umgang mit den Themen Einverständnis, Anonymität und Verschwiegenheit aufgetreten. Diese Herausforderung betrifft dabei nicht nur vulnerable Interviewpartner, jedoch stellt sich bei dieser Personengruppe die Frage nach einem besonderen Schutz aus forschungsethischer Perspektive. Auf Basis dieser eigenen empirischen Erfahrung ist folgende forschungspraktische Frage der Erfüllung und Dokumentation von datenschutzrechtlichen Bestimmungen aufgekommen: Kann eine informierte Einwilligung anstelle der Schriftform auch auf Tonband gegeben werden? Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der Beitrag mit Möglichkeiten, wie datenschutzrechtliche Bestimmungen und deren Dokumentation erfüllt werden können, ohne dass sich dieser Prozess negativ auf eine (notwendige) Vertrauensbildung im Rahmen der Interviewsituation auswirkt. Der Beitrag diskutiert hierzu den Vorschlag, das Einverständnis und deren Dokumentation nicht schriftlich, sondern in Form einer verbalen Aufzeichnung durchzuführen. Hierzu werden sowohl forschungsethische als auch datenschutzrechtliche Aspekte aufgegriffen und eingeordnet. Aus der Diskussion werden schließlich konkrete und praxisorientierte Hinweise für Forschende abgeleitet. Schlagwörter: qualitatives Interview; Datenschutz; informierte Einwilligung; Ethik; vulnerable Personen
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